EUROPAPOKAL
Tore im Nebel, Waschmaschinen für den Klassenfeind
RUND stellt die schönsten "Wunder von der Weser" vor. Von Jonas Strohschein

Werder jubeltEuropapoakalsieger der Pokalsieger 1992: Uli Borowka, Frank Neubarth und Thomas Schaaf. Foto Pixathlon

 


Lissabon, Estádio da Luz, 6. Mai 1992, Werder Bremen-AS Monaco:
"Ein Bremer hat aufgepasst, keine Abseitsposition! Wynton Rufer hat die Möglichkeit zum 2:0, umspielt den Torhüter, da ist er am Ball und er macht das Tor! Gooal! Gooal! Gooal!" Radioreporter Walter Jasper kann es kaum glauben: Der Neuseeländer "Kiwi" Rufer hat durch seinen Treffer in der 55. Spielminute soeben für die Vorentscheidung im Finale des Europapokals der Pokalsieger gesorgt. Werder lässt sich den Sieg nicht mehr nehmen, der erste europäische Titel geht an die Weser. Der Titelgewinn ist wichtig für die Europacupgeschichte des SV Werder, doch die denkwürdigeren Spiele gab es im Weserstadion. RUND hat die drei beeindruckensten "Wunder von der Weser" ausgewäht.

4. November 1987: Werder Bremen - Spartak Moskau 6:2

Man ist sich einig: Die zweite Runde des Uefa-Pokals wird in diesem Jahr wohl das frühe Ende der Bremer Europacupsaison bedeuten. Zu verheerend war die 1:4-Klatsche gegen Spartak Moskau im Hinspiel ausgefallen. Nur 20.000 skeptische Fans fanden bei Nebel und typischem Bremer Schmuddelwetter den Weg ins Stadion. Sie sollten es nicht bereuen: Die Rehhagel-Elf überrannte die Moskauer von Spielbeginn an, nach 10 Minuten stand es bereits 2:0 für Werder. Frank Neubarth war als Doppeltorschütze erfolgreich. Über die gesamte erste Halbzeit kombinierte sich Bremen durch den immer dichter werdenden Nebel, Ordenewitz traf noch vor dem Pausenpfiff zum 3:0. Werder wäre so in der nächsten Runde. "Das Tor von Rinat Dassajew ist kaum zu sehen. Nur die Zuschauer in der Westkurve sind begeistert von den Chancen des SV Werder, die hinter einer Nebelwand bejubelt werden.", beschrieb Reporter Peter Jensen die Lage. Nach der Pause zollten die Bremer ihrem Sturmlauf aus der ersten Hälfte Tribut, Scherenkow erzielte den 3:1-Anschlusstreffer. Nur durch ein Kopfballtor von Gunnar Sauer in der 80. Minute rettete sich Werder glücklich in die Verlängerung. Ein erneuter Kopfballtreffer, diesmal erzielt durch Kalle "Air" Riedle in der 100. Minute, brach den Wiederstand der Moskauer endgültig. Spätestens nach dem 6:1 durch Burgsmüller stand das Weserstadion Kopf. Nach 120 Minuten schickte Werder Spartak Moskau mit 6:2 nach Hause und zog in die 3. Runde ein! Das erste "Wunder von der Weser" war vollbracht, weitere sollten folgen.

11. Oktober 1988: Werder Bremen - BFC Dynamo Berlin 5:0
Mit 0:3 ging Bremen in der ersten Runde des Landesmeister-Pokals beim DDR-Meister BFC Dynamo Berlin unter, eine denkbar schlechte Ausgangslage für das Rückspiel in Bremen. Werder- Manager Willi Lemke musste sich etwas einfallen lassen: Während einer Stadtrundfahrt für den Gast aus Ostberlin, organisierte Lemke den Zwischenstopp in einem bekannten Bremer Kaufhaus. Er hatte eine Leistungsschau des Kapitalismus auffahren lassen: Sündhaft teure Waschmaschinen, Videorecorder und Coca Cola sollten die Berliner auf andere Gedanken bringen. Der Plan ging auf, von der ersten Minute an wirkten die Berliner nervös und unkonzentriert. Nachdem Michael Kutzop die 1:0 Pausenführung für Werder erzielt hatte, stand es nach Abpfiff und weiteren Treffern durch Herrmann, Riedle Burgsmüller und Thomas Schaaf 5:0 für den SV Werder. "Ich habe immer gesagt, dass im Fußball alles möglich ist...", zeigte sich Trainer Rehhagel nach Abpfiff glücklich aber wenig überrascht. BFC-Trainer Jürgen Bogs hatte eine andere Meinung zum Spiel: "Das war hier die totale Scheiße.", so sein trockenes Fazit.

8. Dezember 1993: Werder Bremen - RSC Anderlecht 5:3
Erstmals nahm Werder an der Gruppenphase der neu gegründeten Champions League teil. Durch eine Auftaktniederlage beim FC Porto stand man bereits am zweiten Gruppenspieltag mächtig unter Druck. Der belgische Meister RSC Anderlecht war zu Gast im Weserstadion, und bei strömendem Regen spielte er die Bremer an die Wand. "Wir sind im Europacup noch nie so vorgeführt worden", kommentierte Verteidiger Uli Borowka den desaströsen 0:3 Halbzeitrückstand der Bremer. Bis zur 66. Minute sah alles nach einer verpatzten Heimpremiere für die Bremer aus, aber dann traf Wynton Rufer und ein Ruck ging durch die Mannschaft. Vier weitere Tore erzielte Werder in den nächsten 24 Minuten, Bratseth, Hobsch, Bode und erneut Rufer sorgten für die Wende: Endstand 5:3! "Fragt mich nicht, ich kann es selbst nicht begründen!", zeigte sich Rune Bratseth nach Abpfiff fassungslos ob der Geschehnisse auf dem Rasen. Und auch Anderlechts Trainer Johan Boskamp wusste sich nur in übersinnlichen Erklärungen zu helfen: "Mir kam es vor, als wenn ein Nachtgespenst unser Spiel zerstört hat."


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