BUCH
Vom Wipfelstürmer zum Beton
„Millerntor. Das alte Stadion": Der Bildband von Susanne Katzenberg und Olaf Tamm ist eine gelungene Liebeserklärung an die Spielstätte des FC St. Pauli. Von Matthias Greulich.

 

 

Millerntor-Stadion
Jubel am Millerntor, fotografiert am 11. September 2011 als der Fc St. Pauli 4:2 gegen 1860 Mümchen siegte. Foto Olaf Tamm

 

Am alten Millerntor war alles eng. Im Clubheim standen die Männer Schlange hinter vier Pissoirs. Auf der Gegengerade drängten sich die Anhänger auf 16 Stehtraversen. Zu zweit passte man gerade so drauf, kam jemand vom Bierholen herunter, wurde die ganze Reihe durchgeschüttelt. Das Spielfeld gehörte zu den kleineren in Hamburg. Lag es daran, dass die Spieler des FC St. Pauli den Ball gerne in hohem Bogen nach vorne bolzten? Etwas weiter weg vom rustikalen Geschehen waren die Mutigen, die der besseren Sicht wegen auf die Bäume hinter den Toren geklettert waren. Die Mannschaft saß nach dem Spiel zusammen im so genannten Ligaraum, einem schmalen Schlauch mit Sesseln, die aus den Sechzigern stammen mussten, als die Spielstätte des jetzigen und damaligen Zweitligisten noch topmodern war.

Das alte Millerntor-Stadion gibt es nicht mehr. Der FC St. Pauli hat 2006 begonnen, seine Spielstätte Stück für Stück abzureißen. Drei große Tribünen aus Beton stehen bereits. Alles ist nun steiler, komfortabler und weitläufiger. In den Treppenhäusern, die zu den neuen Schalensitzen führen, hängen Bilder von Susanne Katzenberg, auf denen Container und viele Pfützen zu sehen sind. Auch eine Aufnahme vom benachbarten Hochbunker, auf der man im Hintergrund den Hafen sieht, ist darunter. Ein wunderschönes Bild, das den Auftakt zu einem neuen Buch bildet: „Millerntor“ heißt der eindrucksvolle Bildband von Susanne Katzenberg und Olaf Tamm, der die Erinnerungen an das alte Stadion auf 160 Seiten aufbewahrt.

Katzenberg hat mit ihren Farbbildern die Architektur des Stadions seit 2005 im analogen Mittelformat festgehalten. Tamm fotografiert ebenfalls im Mittelformat, aber schwarzweiß. Sein Augenmerk liegt auf Porträts der Menschen am Millerntor. Die unterschiedlichen Bildsprachen der beiden ergänzen sich hervorragend: Katzenbergers dokumentarischer Blick zeigt den Charme der provisorischen Tribünen und Container, die das Bild des Millerntors in den vergangenen Jahren prägten. Und in der Enge gibt es die Fans mit dem Jolly Roger, all die Brezelverkäufer und Bierholer, von denen Tamm sich in seinen Momentaufnahmen ein emotionales Bild macht.

Der Bildband wird ergänzt durch Texte von Ronny Galczynski, der unter anderem mit André Trulsen, dem ehemalige Präsidenten Corny Littmann, Chefordner Fiete Jahn oder St. Pauli-Anhänger Eike gesprochen hat. Letzterer stand in den Achtzigern regelmäßig auf den Baumwipfeln hinter der Nordkurve. Den Interviews und Porträts fehlt es bisweilen an der journalistischen Distanz, die ist bei dieser „Liebeserklärung an einen Sehnsuchtsort“ wie es im Klappentext heißt aber auch nicht gewollt. Aber auch die Welt eines „Kultklubs“ kann eng sein, auch wenn der so bekannt ist wie der FC St. Pauli.

Platzwart Dieter Röhsa ist als einziger Gesprächspartner vom Mythos unbeeindruckt. Die oft improvisierten Reparaturarbeiten an dem alten Kasten, wo sich bei einem Sturm Teile von der Tribüne zu lösen pflegten,wurden immer schlimmer: „Ich bin froh, dass der ganze Schrott weg ist“, sagt Röhsa. So unsentimental kann man es also auch sehen.

 

Susanne Katzenberg und Olaf Tamm: Millerntor: Eine Liebeserkärung an das alte Stadion des FC St. Pauli,
Edition Braus, ISBN: 978-3862280452, 160 Seiten, 29,95 Euro.


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Millerntor-Stadion
Hinter der alten Haupttribüne, 2008. Foto Susanne Katzenberg

 

Millerntor-Stadion
Die alte Gegengerade. Foto Susanne Katzenberg

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