NATIONALELF
Nationalmannschaft seid „ihr“ nicht
Es gibt Zeitungen, für die ist die Nationalelf wichtig, für manche ist sie wichtiger. Für ein Blatt ist sie am wichtigsten. Die "Bild"-Zeitung hat Probleme mit der aktuellen Nationalmannschaft, die nicht dem Bild entspricht, das dieses Blatt von Deutschland produziert. Von Roger Repplinger.
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Von „Rudi Riese“ zu „Grinsi Klinsi“ ist es nur ein kleiner Schritt für die „Bild“-Zeitung. Warum ist der Konflikt des Boulevardblatts mit dem Bundestrainer im Frühjahr 2006 eskaliert?
Sing when you're winning: Ausriss aus der "Bild"-Zeitung nach der Niederlage im EM-Halbfinale gegen Italien
Deutschland hat Probleme mit seinen nationalen Symbolen. Braune Tauben haben auf Denkmäler, Gebäude, Schriftsteller, Maler, Bildhauer, Philosophen, Musiker sowie ihre Werke geschissen. Die Bundesrepublik tut sich schwer, eigene Symbole zu entwickeln. Die Fußball-Nationalmannschaft ist eines – seit der Weltmeisterschaft 1954. Wer sie trainieren, ihr Spielkleid tragen, für sie arbeiten, mit ihr werben, ihre Partien übertragen, über sie schreiben darf, spielt das große Spiel. Deshalb wird um sie gekämpft. Es gibt Zeitungen, für die ist die Nationalelf wichtig, für manche ist sie wichtiger. Für ein Blatt ist sie am wichtigsten.
Das ist "Bild" . Für dieses Blatt sind Bundeskanzler und Bundestrainer fast gleichauf. Die Kombination Helmut Kohl und Lothar Matthäus wäre ideal gewesen. Seit über 50 Jahren kämpft die Zeitung um Bundestrainer nach ihrem Gusto. Statt Helmut Schön den "Bild" -Kolumnisten Max Merkel. Hat nicht geklappt. Mies!
Funktionierte bei Schöns Nachfolger Jupp Derwall. Am 26. Juni 1984 trat Derwall nach der verkorksten Europameisterschaft in Frankreich zurück. Franz Beckenbauer haute Derwall als Bild -Kolumnist in die Pfanne. Beckenbauers Kolumnen schrieb Walter M. Straten, inzwischen Sportchef von "Bild" und "Bild am Sonntag". Beckenbauer wurde Derwalls Nachfolger und brachte 1990 einen WM-Titel. Toll!
Mit aller Macht wollte "Bild" später Matthäus als Nachfolger von Rudi Völler. Matthäus hatte "Bild" jahrelang mit Interna versorgt, Gespräche aus der Kabine der Bayern und der Nationalmannschaft verraten.
Im Sommer 1996 veröffentlichte Matthäus in der "Bild" ein "geheimes Tagebuch", in dem er Interna aus der Mannschaft des FC Bayern öffentlich machte, insbesondere über Jürgen Klinsmann. Dies führte zu seiner vorübergehenden Verbannung aus der Nationalelf, Matthäus’ Indiskretionen hatten das Klima vergiftet. Der Versuch, Matthäus zum Bundestrainer zu schminken, misslang. Heute weidet "Bild" aus, was noch vom Rekordnationalspieler übrig ist.
"Bild" wollte schließlich Oliver Kahn ins Tor der WM 2006 schreiben, Klinsmann und Löw entschieden sich für den Keeper, der das modernere Torwartspiel aufzuweisen hatte: Jens Lehmann.
Es geht bei diesen Kampagnen, die zu Kampagnen werden, weil die seriösen Blätter, das Fernsehen, Magazine und Illustrierte, einsteigen, nie darum, die beste Lösung für den deutschen Fußball zu finden, sondern um die Interessen des Verlags. Es geht darum, die Aufstellung der Mannschaft vor den anderen Medien zu bekommen, Exklusivgeschichten zu haben, Infos, die kein anderer bekommt, bevorzugt zu werden.
Macht der Bundestrainer da mit, wird er unterstützt. Macht er nicht mit, wie der amtierende, wird er, wenn er angreifbar ist, häufig zur Zielscheibe. Mit der Qualität als Trainer hat das nichts zu tun.
Wie schwierig das Geschäft für "Bild" geworden ist, zeigt Krake Paul. Die Springer-Blätter stellten das Tier-Orakel so groß vor, weil sie bei der Europameisterschaft 2008 und der Weltmeisterschaft 2010 sonst nichts hatten. Sie haben bis heute keinen Spieler, jedenfalls keinen wie Matthäus, Stefan Effenberg oder Mario Basler. Jeder wichtige Nationalspieler hat bei Bild einen für ihn zuständigen Redakteur. Der ist Ansprechpartner, Kummerkasten, Image-Schöpfer, Helfer in der Not und Verkäufer, wenn es was zu verkaufen gibt. Wie bei Effenberg ein Buch.
Der Spieler gibt Infos, der Bild -Redakteur nimmt, der "Bild" -Redakteur gibt gute Spielnoten, der Nationalspieler nimmt, und steigert seinen Marktwert, erhält bessere Verträge. Der Bild -Redakteur steigt mit auf und weiß mehr als die anderen.
Während der Turniere 2008 und 2010 hatte "Bild" keinen Aufreger, und weil Tiere, Titten und Kinder immer gehen, kam die Krake.
Philipp Lahm, ein intelligenter, seriöser Spieler, macht für "Bild" Werbung. Er verrät keine Kabinengespräche wie Matthäus, ist weder "aggressiver Leader" wie Effenberg noch proletarische Skandalnudel wie Basler. Er ist wie der Rest der Mannschaft. Dass "Bild" keinen anderen findet, zeigt: Not am Mann.
Diese Nationalelf ist kein Team der "ganzen Kerle", der Haudraufs, keine Mannschaft, in der ein hierarchisches Gefälle als Vorbild für eine stärkere Hierarchisierung der Gesellschaft dienen kann, es gibt keine Autoritäten, denen die Wasserträger dienen, keine Regisseure, vor denen der Rücken krumm gemacht werden muss. Der Trainer ist kein Zyniker, quält die Spieler nicht, klopft keine Sprüche, ist kein Kumpeltyp, kein Selbstdarsteller, kein Bild -Spezi. Ottmar Hitzfeld, Felix Magath oder Otto Rehhagel hätten "Bild" vermutlich besser gepasst.
Die Probleme, die "Bild" offensichtlich mit dem modernen Fußball hat, mit der Akademisierung und Verwissenschaftlichung des Spiels, der gewachsenen Bildung der Spieler, der Attraktivität des Spiels für Frauen und Intellektuelle, der veränderten Zusammensetzung des Publikums, dem Eventcharakter, der Kommerzialisierung, die Berechenbarkeit und ein sauberes Image braucht, sind groß.
Die vorläufig letzte Kampagne des Blatts richtete sich gegen den verletzten Mannschaftskapitän Michael Ballack. Er war der Spieler, mit dem viele der hier geschilderten Entwicklungen begannen. Es ging um das Amt des Kapitäns der deutschen Nationalelf. Lahm sollte Ballack beerben. "Bild" kochte das Thema, bis Löw pragmatisch entschied: Lahm bekommt die Binde während der WM und danach, kommt Ballack wieder, wandert sie zurück. Die wichtige Frage ist: Was bringt der Kapitän Philipp Lahm "Bild" ? Vermutlich nicht viel.
Die Blätter des Springer-Verlags lieben nur den Werbeträger Lahm, und da werden alle angegriffen, die dem gefährlich werden können. Etwa Bastian Schweinsteiger. Den Christian Falk in der "Sportbild" im April 2011 als "Chefchen" verhöhnt hat.
So was versteht nur, wer weiß, dass "Sportbild" in Matthias Brügelmann einen neuen Chefredakteur hat, dass der Chefreporter Falk seinem neuen Chef vermutlich zeigen will, wie scharf er ist, dass Schweinsteiger, der jahrelang als "Super-Schweini" der Liebling der Springer-Blätter war, nicht mehr wie gewohnt mit dem Boulevard zusammen arbeitet, dass die Auflage der Sportbild sinkt.
Nach Erscheinen des Textes bezeichnet Schweinsteiger den Chefreporter Falk in einer Pressekonferenz des FC Bayern München als "Pisser" und "Arschloch". Sofort springt "Bild" dem Tochterunternehmen "Sportbild" bei und geht auf Schweinsteiger los.
In der Kommentierung der Auseinandersetzung um den Chefchen-Text wird häufig auf die Reaktion des Spielers Bezug genommen. Schweinsteiger und den Bayern wird, angesichts der schlechten Saison, Nervosität unterstellt. Doch wie steht es um die Nervosität des Boulevards?
Auch die Auflage von "Bild" sinkt. Sie fiel Anfang 2011 unter drei Millionen. Das liegt auch daran, dass "Bild" als Format so erfolgreich war, dass der Boulevard inzwischen überall ist. Im Fernsehen, auch im öffentlich-rechtlichen, vor allem auf bild.de . Die Auflage von "Bild" sinkt, die Frage ist, ob das auch für Einfluss und Macht gelten.
Vielleicht haben die sinkende Auflage und die Schwierigkeiten des Boulevardblattes mit der Nationalmannschaft etwas mit den sozialen Entwicklungen zu tun. Sowohl 2006 als auch 2010 sah man in Deutschland an dem einen Auto ein türkisches und ein deutsches, am anderen ein kroatisches und ein deutsches, am dritten ein griechisches und ein deutsches, auch mal ein ghanaisches und ein deutsches Fähnchen. Das spiegelt die Realität des Einwanderungslandes Deutschland wieder, wie die Aufstellung der Mannschaft, widerspricht aber dem Bild, das "Bild" von Deutschland produziert.
Der hohe Spaßfaktor, der spielerische Umgang vieler Fans mit dem nationalen Symbol Nationalmannschaft, passt zur Spielweise der Mannschaft. Die Fans schminken sich schwarz-rot-gold und färben ihre Haare, die deutschen Fußballer brauchen die deutschen Tugenden nicht mehr und nicht weniger als die argentinischen, französischen oder ghanaischen.
Bei Mannschaft und Fans fehlt alles Hehre, Weihevolle. Pathos nur bei der Hymne: Spieler und Trainer legen sich die Arme um die Schultern, der Eine oder Andere singt. Auch auf den Rängen. Mehr Pathos ist nicht.
Da lässt sich für eine stärkere Betonung des Nationalen in diesem Land nichts holen. Diese Nationalelf ist weiter als "Bild" und näher an den sozialen Entwicklungen des Landes. Das muss denen weh tun, die so gern den Pluralis Majestatis beanspruchen. Vielleicht sind "wir Papst", Nationalmannschaft seid "ihr" nicht.
Ein Auszug aus dem 2011 erschienenen Buch: „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" vom Matthias Greulich (Hg.) und Sven Simon. 176 Seiten, 19,90 Euro, Copress Verlag. ISBN 978-3-7679-1048-5
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