INTERVIEW
Löw: „Die flippen aus, wenn sie kombinieren können“
Teil 2 des Taktik-Interviews mit Joachim Löw: Der Bundestrainer über Pressing auf höchstem Nievau und die Lust auf Titel und schönen Kombinationen seiner Mannschaft. Interview Roger Repplinger

 

Joachim Löw„Schweinsteiger will den Ball, Khedira will den Ball, Özil will den Ball, Müller will den Ball“: Joachim Löw über seine Spieler. Foto: Pixathlon

 Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg
Das komplette Interview mit Joachim Löw lesen Sie in „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" vom Matthias Greulich (Hg.) und Sven Simon. 176 Seiten, 19,90 Euro, Copress Verlag. ISBN 978-3-7679-1048-5

 



Herr Löw, wie verhindern Sie, dass Ihre Spieler auf der Stelle treten?
Joachim Löw: Von den Bundesligaspielen, die wir beobachten, machen wir immer Videoaufzeichnungen. Da suchen wir uns Szenen raus: Das macht der Spieler gut, das macht er weniger gut. Die zeigen wir dann den Spielern, wenn sie bei der Nationalmannschaft sind. Es wäre besser, wenn man die Spieler ein oder zwei Mal im Monat besuchen könnte, in ständigem Dialog mit ihnen wäre.

Nicht so einfach.
Joachim Löw: Nein, denn es finden viele englische Wochen statt, und wenn ich nach einem Bundesligaspieltag zum Holger Badstuber gehe, und der spielt am Mittwoch in der Champions League gegen Inter Mailand, dann ist es schwierig mit ihm über Situationen zu reden, über die vielleicht auch der Vereinstrainer redet, und die der vielleicht anders anschaut, weil er eine andere Philosophie hat. Wir wollen da auch nicht in die Alltagsarbeit der Vereine eingreifen. Aber vielleicht gelingt es uns doch in den nächsten Jahren häufiger mit den Spielern per Video zu arbeiten.

Bei der Nationalmannschaft gibt es keine Ende was die Entwicklung angeht.
Joachim Löw: Nie. Bei einer Vereinsmannschaft, wenn ich ein Jahr etwas trainiere, dann ist das drin. Das ist bei uns anders. Ich muss immer wieder zurück, wenn ich sehe, etwas klappt nicht so, dann sag ich: Wir müssen an der Basis arbeiten: Passspiel, Ballgewinn.

Ballgewinne sehr weit vorne sieht man in der Bundesliga selten.
Joachim Löw: In der Bundesliga wird oft gesagt: Zieht euch etwas zurück, lasst die anderen kommen. Wenn es einer alleine macht, wird es schwierig, dann rennt er sich tot gegen eine Mannschaft, die gut hinten raus spielt. Man muss das als Verbund, als Mannschaft machen. Pressing geht nur mit dem gesamten Team. Wenn vorne zwei oder drei attackieren, müssen die Mittelfeldspieler vorrücken, die Anspielstationen des Gegners zustellen, die Kette muss hoch stehen. Man muss die Kette auflösen, die Verteidiger müssen eng bei den Stürmern stehen. Die Spanier lösen solche Situationen auf. Wenn gegen die gepresst wird, spielen sie auf Iniesta, und dann sind sieben Mann ausgespielt. Dann wird Pressing gefährlich.

Mainz kann pressen.
Joachim Löw: Die können das. Die können das in der Bundesliga gegen Mannschaften, die unter Druck die Bälle hinten raus hauen. Dortmund macht das auch gut. Unsere Spieler kommen gegen Gerard Piqué oder Carles Puyol, gegen Sergio Ramos oder die Argentinier, die Niederländer. Auf dem Niveau machen die einen Haken und spielen einen Pass. Die Spieler von Barcelona interessiert es nicht, wenn da Drei kommen. Die stellen sich frei, dann kriegt der Xavi den Ball, und der verliert ihn nicht. Mainz macht das gut, aber eben nicht gegen Barcelona.

Herrscht in offensiven Mannschaften ein anderer Geist?
Joachim Löw: Ja. Bei uns im Mittelfeld will keiner, dass Per Mertesacker die Bälle hoch nach vorne kickt. Schweinsteiger will den Ball, Khedira will den Ball, Özil will den Ball, Müller will den Ball. Schweinsteiger und Özil wollen kombinieren, die flippen aus, wenn sie kombinieren können. Wir machen natürlich entsprechende Trainingsformen, auch mal ohne Gegner. Wenn ich dann sage: Diesen Laufweg, diesen Passweg, so soll der Angriff ablaufen, dann haben sie Spaß. Und wenn ein Gegner dazu kommt, dann freuen sie sich, wenn sie den auskombinieren können.

Die Spieler wissen, dass sie noch Potenzial haben?
Joachim Löw: Bei uns sagt niemand: Ich bin jetzt auf dem Niveau und da bleibe ich, mehr will ich nicht erreichen. Das gibt es nicht. Unsere Spieler waren nach dem EM-Finale gegen Spanien oder dem WM-Halbfinale gegen Italien und Spanien, enorm getroffen. Diese Enttäuschung spürte man noch Tage danach. Wenn man mit ihnen spricht, ist es unglaublich, was in den jungen Spielern vorgeht, wenn sie scheitern. Sie wollen das in den nächsten Jahren zurecht rücken. Sie wollen einen Titel gewinnen.

Wenn Sie mir Sami Khedira und Mesut Özil telefonieren, merken Sie, dass die Spieler von Real Madrid beeindruckt sind?
Joachim Löw: Ja. Beide sind durch die WM, aber auch durch den Vereinswechsel selbstbewusster geworden. Mesut Özil war ja eher introvertiert, ein Ruhiger, nun ist er viel selbstbewusster. Beide kommen in ihrer Entwicklung voran. Sie schwärmen vom Verein Real Madrid, schwärmen aber auch vom Konkurrenzkampf, der da herrscht, schwärmen vom Niveau. In jedem Training sind 20 Spieler, die fußballerisch sehr gut sind. Özil sagt: Das macht im Training unheimlich viel Spaß. Er sagt mir immer: Die Zuschauer wollten keinen verkrampften Sieg. Wenn Real schlecht spielt, pfeifen die Zuschauer trotz Führung. Sie wollen ein Spektakel sehen, guten Fußball sehen. Wenn es 0:0 steht, und Real spielt guten Fußball, klatschen sie. Das ist genau das, was Mesut Özil will.

Interessant ist, dass Mourinho jungen Spielern eine Chance gibt.
Joachim Löw: Ja, das ist ja auch in der Bundesliga die entscheidende Sache. Die Trainingsinhalte im Nachwuchsbereich haben sich verändert. Früher wurde nur auf Kraft. Ausdauer und Athletik gesetzt, ein Spieler mit 1,50 Metern Größe hätte keine Chance gehabt. Aber Lionel Messi ist nicht viel größer. Entscheidend ist, dass die jungen, besser ausgebildeten Spieler, eingesetzt werden. 2004, 2005 hieß es in der Liga noch: der ist erst 19, da warten wir noch. Wie lange soll er warten? Und dann wurde einer für diese Position gekauft. Dann hatten die Spieler zwischen 18 und 21 fünf Bundesligaspiele und drei Jahre versäumt. Heute macht der Götze im ersten Jahr vielleicht 34 Spiele, und im nächsten 35, und mit 21 hat er 100 Bundesligaspiele und soundso viele Spiele in der Champions League und dadurch zehn Länderspiele. Diese drei Jahre sind entscheidend.

Die Bereitschaft einiger Trainer, junge Spieler zu bringen, ist gewachsen.
Joachim Löw: Vielleicht auch bedingt durch die Politik der Vereine. Es hat sich die Denkweise durchgesetzt: Wir wollen nicht mehr so viel Geld in ausländische Spieler investieren, die maximal Durchschnitt sind. Die WM hat da zusätzlich was ausgelöst. Thomas Müller ist 20, spielt bei der WM super und wird Torschützenkönig. Mancher hat gesagt: der Müller, der Özil, der Khedira, die sind viel zu jung. Nein, waren sie nicht! Einige haben erkannt: Auch 20-Jährige können auf Topniveau spielen.

Hatten Sie als Spieler einen Trainer, wie Trainer Löw heute einer ist?
Joachim Löw: Rolf Fringer war in der Schweiz für mich ein Trainer, von dem ich etwas über Raumdeckung erfahren habe. Über ein gutes Offensivspiel, aber das war erst am Ende meiner Karriere.

Hat sich der Spieler Löw einen Trainer, wie Trainer Löw einer ist, gewünscht?
Joachim Löw: Hätte ich mir gewünscht. Ich war ja jemand, der technischen Fußball spielen wollte, hätte mir gewünscht, dass der eine oder andere Trainer mehr Wert aufs Fußballspiel legt, als es damals der Fall war. Ich war mit 30 oder 32 körperlich kaputt. Das kam durch die Trainingsinhalte. Ich war mit 30 nicht mehr schnell, nicht mehr dynamisch. Von dem, was ich heute weiß, sind wir verschlissen worden. In der Saisonvorbereitung haben wir Trainingseinheiten gemacht, danach konnten wir nicht mehr laufen, auch in den Spielen waren wir noch stumpf.

Was haben Sie damals gedacht?
Joachim Löw: Wie unsinnig ist es, mit Medizinbällen den Berg hoch zu rennen. Ein Mal ist ja gut, aber fünf Mal pro Woche? Oft war das der einzige Trainingsinhalt. Das war zum Teil sehr rustikal.

Heutzutage würden Spieler das nicht mitmachen?
Joachim Löw: Sie würden überlegen, ob sie das fußballerisch weiterbringt, und würden sagen: Nein.


Klicken Sie hier, um Teil eins des Taktik-Intervies mit Joachim Löw zu lesen.
Löw: „Keine Entwicklung bei Spielverhinderern“

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