FIFA-SKANDAL

„Man sollte Sie auswandern!“

Im Jahr 2000 schickte Martin Sonneborn Bestechungsfaxe an acht Fifa-Delegierte in ein Züricher Hotel. Am nächsten Tag erhielt Deutschland die Zusage für die Weltmeisterschaft und Sonneborn wurde zum „Feind des Fußballs“. Der damalige Chefredakteur des Satiremagazins „Titanic“ hat die Fax-Aktion für sein Buch „Ich tat es für mein Land“ aufgeschrieben. Interview Oliver Lück, Fotos Matthias Koslik

 

Martin Sonneborn
Martin Sonneborn. Foto Matthias Koslik

 

RUND: Herr Sonneborn, was fällt Ihnen als Erstes ein, wenn Sie an Fußball denken?
Dann denke ich an ein Tor, das ich mal geschossen habe. Ich stand mit dem Rücken zum Tor, nahm einen langen Ball volley mit links an und lupfte ihn dabei versehentlich über den herausstürzenden Torwart. Dann drehte ich mich und hämmerte ihn aus der Luft mit rechts ins Netz. Danach hätte ich sofort zurücktreten sollen, auf dem Höhepunkt meiner Karriere.

RUND: Und wenn Sie an bezahlten Fußball denken?
Daran, dass Deutschland Weltmeister wird. Wir von „Titanic“ haben ja das unsrige dazu getan – wir haben mit unseren Faxen die WM nach Deutschland geholt. Nun hoffe ich, dass DFB und Mannschaft nachziehen.

RUND: Warum haben Sie das damals getan?
Schon Monate lang vorher lagen gefälschte Rolex-Uhren, ganz billige Imitate aus Hongkong, für die Fifa-Juroren in meiner Schublade. Ich habe lange überlegt, mit welchem schmutzigen Trick man ein Bewusstsein dafür schaffen könnte, dass diese WM-Vergabe die korrupteste Abstimmung der Welt ist.

RUND: Dann kamen Sie auf die Idee mit den Faxen.
Ja, das war am letzten Abend vor der Abstimmung in Zürich. Ich saß mit einem Freund beim Abendbrot und wir sprachen über Korruption. Nach zwei Bieren habe ich dann gedacht, ich kann diese Situation nicht einfach vorbeiziehen lassen. Ich fuhr dann noch mal in die Redaktion und schickte acht Bestechungsfaxe in das Hotel der Fifa-Delegierten. Ich bat die nette Dame an der Rezeption darum, sie am Abend noch an die Herren weiterzuleiten. Weil es schon so spät war, steckte sie die Faxe in Briefumschläge und schob sie unter den Zimmertüren durch. Am Finanzplatz Schweiz offenbar an der Tagesordnung und ein völlig normaler Vorgang.

RUND: Konnte man die Faxe überhaupt ernst nehmen?
Wenn man sehr hungrig war schon. Wir hatten ja lediglich einen Präsentkorb mit ein paar verdammt guten Würsten, einem Schwarzwälder Schinken und einer Kuckucksuhr geboten. Das war ja alles grober Unfug: Die Faxe sind in einer Stunde entstanden, sie trugen keinen Briefkopf, als Unterschrift stand da „Martin Sonneborn, Secretary TDES“ (Anm. d. Red.: Titanic – Das endgültige Satiremagazin). Das konnte man nur ernst nehmen, wenn man wie der neuseeländische Fifa-Vertreter Charles Dempsey, mit seinen 78 Jahren einer der geistig regeren im Fifa-Komitee, die ganze Nacht lang von Nelson Mandela, Gerhard Schröder, Franz Beckenbauer und anderen Interessenten angerufen und extrem unter Druck gesetzt worden war. Da sitzt dieser alte Mann nachts allein in seinem Zimmer und denkt sich: „Was kommt denn jetzt noch? Jetzt schieben sie mir auch noch Briefe unter der Tür durch.“ Das alles musste zusammenkommen, damit er das Fax ernst nahm.

Herr Sonneborn, glauben Sie das wirklich?
Die „FAZ“ und „Süddeutsche Zeitung“ haben geschrieben, dass wir das Zünglein an der Waage waren. Dempsey, der eigentlich für Südafrika stimmen sollte, entschied, sich zu enthalten, um nicht in den Ruf zu kommen, bestechlich zu sein. Der Endstand: 12:11 für Deutschland. Später erklärte er in Interviews: „This final fax broke my neck.“ Von vielen Leuten wurde er danach wüst beschimpft und trat von seinem Amt zurück. Ehrlich gesagt, tat er mir leid. Er war wohl der einzige ehrliche Mensch in diesem ganzen korrupten Sauhaufen.

 

Titanic "Bestechungsfax"Echt gute Würstchen und eine Kuckucksuhr: Wie man Entscheidungsprozesse stilvoll beeinflusst, weiß TDES – Titanic, das endgültige Satiremagazin

 

Heute stehen Millionen Menschen stundenlang im Stau, da alles für die WM schick gemacht wird. Haben Sie das gewollt?
Stehen Sie? Um Gottes willen, das haben wir nicht gewollt! Die Leute sollen sich andererseits nicht so anstellen. Wir brauchen die WM schließlich, um das Land wieder nach vorne zu bringen – das höre ich doch täglich von meinen Kollegen Stoiber und Schröder. Und wenn die „FAZ“ vermeldet, durch die WM-Aktion hätten wir unserem Land rund 50.000 neue Arbeitsplätze und eine Bruttosozialproduktsteigerung von drei Milliarden Euro beschert, dann ist das doch für ein kleines Satiremagazin eine ganz ordentliche Leistung.

Der Deutsche Fußball-Bund wollte Sie verklagen.
Ja, ich musste mich mit einem DFB-Anwalt in einem Hotel in Stuttgart treffen. Für einen kurzen Moment stand eine lustige Schadensersatzklage über 600 Millionen D-Mark im Raum. Mein erster Gedanke war, dass ich mein Konto dann wohl um rund 540 Millionen Mark überziehen müsste. Man ließ mir aber die Wahl, und so unterschrieb ich eine Vereinbarung, dass ich so etwas Zeit meines Lebens nie wieder tun würde. Es war natürlich nicht ganz einfach, dabei ernst zu bleiben, aber es ging um viel Geld.

Mehr wurde nicht vereinbart?
Doch, ich bin immer noch gespannt, ob wir die Karten für das WM-Finale bekommen, die der Anwalt der Redaktion versprochen hat, und ob ich Ehrenspielführer der Nationalelf werde. Allerdings hatte er so einen extrem sarkastischen Unterton, als er das versprach. Egal, ich halte mich extra fit, damit ich unsere Mannschaft ins Eröffnungsspiel führen kann.

Nach der Aktion haben manche Menschen Sie wegschließen, erschießen oder vergasen wollen – hat man Sie missverstanden?
Die „Bild“-Zeitung sicher. Auf der Titelseite druckten sie unsere Telefonnummer ab und riefen dazu auf, uns mal die Meinung zu sagen. Kürzlich hab ich für das WM-Buch noch mal die CD mit den Anrufen abgetippt. Es sind ja ganz wunderbar poetische Dinge, die von den „Bild“-Lesern da ganz beherzt vorgebracht werden: „Im Rechtsstaat gehören Leute wie Sie ins KZ!“; „Den Purlitzer-Preis kriegen Sie damit nicht! Man sollte Sie auswandern!“; „Wegen euch Schweinen haben wir die WM nicht bekommen.“ Das ist so unfassbar lustig. Wir sind heute noch dankbar, dass das größte Drecksblatt in diesem Land seine Leser zu dieser Beschimpfungsorgie angeregt hat. Da wir aus Versehen alle Anrufe mitgeschnitten haben, konnten wir nämlich eine schöne CD daraus machen – die beliebteste Aboprämie, die „Titanic“ je hatte.

Haben Sie die Empörung damals verstanden?
Ja, klar. Den „Bild“-Lesern wurde ein schlüssiges Weltbild präsentiert: dass Fußball sauber ist, dass Korruption und Sport nichts miteinander zu tun haben und dass nun ein Satiremagazin versucht hatte, mit billigen Bestechungsbriefen Auflage zu machen.

Leben wir in einem cholerischen Land?
Es gibt ein paar Bereiche, in denen der Deutsche schneller bereit ist, cholerisch zu reagieren. Meine Erfahrungen in elf Jahren „Titanic“ zeigen, dass dies immer der Fall ist, wenn es um Fußball, Hunde oder Autos geht. Fußball ist den Menschen offensichtlich sehr wichtig. Das hat ja auch der arme Charles Dempsey hinterher überrascht festgestellt: „Ich habe nicht gewusst, dass Fußball für so viele Menschen so wichtig ist.“

Wäre der Aufschrei ebenso groß gewesen, wenn bei der Bundestagswahl bestochen worden wäre?
Nein, dann hätte es die übliche ritualisierte Empörung in Politikerkreisen gegeben. Das Ganze ist ja nicht mehr als ein Schmierentheater, eine nur noch für die Medien inszenierte Politisiererei. Schauen Sie doch unsere PARTEI an, wir sind ja das beste Beispiel: Wir haben einen offen erklärten populistischen, schmierigen und niveauarmen Wahlkampf gegen das Merkel geführt. Und wir haben bei Ebay einen Teil unserer Wahlwerbesendezeit im ZDF verkauft.

Ist Ihnen Fußball wichtiger als Politik?
Da meine eigene PARTEI in diesem Land noch nicht genug Einfluss hat, ist mir Fußball im Moment wichtiger. Jeden Donnerstag spiele ich mit Freunden in einer Halle in Berlin-Marzahn. Dafür muss ich hin und zurück 30 Kilometer durch die Stadt fahren. So wichtig ist mir der Fußball.

Sind Sie gut?
Nun ja, bisweilen, wenn ich dank meiner herausragenden Technik über den Ball trete, werde ich von meinen Mitspielern achtungsvoll als „Feind des Fußballs“ betitelt. Das setzte sich fest, weil die „BZ“ mich nach der Bestechungsaktion so bezeichnet hat.

Kennen Sie José Mourinho?
Natürlich. Wer ist das?

Das ist ein Portugiese, der für viel Geld den FC Chelsea trainiert und als arrogant gilt. Wenn man im Internet nach „Feind des Fußballs“ sucht, wird zunächst sein Name und etwas später Ihrer angezeigt.
Ach wirklich? Dann muss er der größere Feind des Fußballs sein.

 

Martin Sonneborn, „Ich tat es für mein Land.“ – Wie TITANIC die WM 2006 ins Land holte: Protokoll einer Bestechungsaktion, Bombus-Verlag, 128 Seiten, 12,90

 

Das Interview ist in RUND #3 10_2005 erschienen.

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