INTERVIEW
„Gewaltbereit, um Männlichkeit zu beweisen“
Eine neue Studie hat die Geschlechterverhältnisse in Fußballfanszenen untersucht, deren harter Kern stark männerdominiert ist. Projektleiter Robert Claus von der Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene soziale Arbeit (KoFaS) sprach im Interview mit Miriam Heidecker über die Ergebnisse der Studie und was diese für die Zukunft der Fanarbeit bedeuten.
Robert Claus von der Kompetenzgruppe Fankulturen und sportbezogene soziale Arbeit (KoFaS)
RUND: Wie steht es denn um die Geschlechtervielfalt in Fanszenen?
Robert Claus: Der Männeranteil in der Ultraszene liegt im Durchschnitt bei etwa 90, der Frauenanteil bei zehn Prozent. Das hat unsere Befragung gezeigt. Frauen sind also deutlich unterrepräsentiert.
RUND: Woran liegt das?
Robert Claus: Erstens ist die Fankultur eine starke Präsenzkultur. Man muss viel da sein, mitmachen, Aufgaben übernehmen, was jungen Menschen natürlich viele Optionen bietet, um mitzumachen. Zweitens aber gibt es in Fanszenen einen Appell an Männlichkeit. Man muss immer wieder nachweisen, dass man ein richtiger Fan ist. Das hat sehr viel mit männlichen Werten, wie Härte, Durchsetzungskraft und auch Gewaltbereitbereitschaft, zu tun. Die Anforderungen an Männer sind also klar: Anwesenheit, Heterosexualität, Durchsetzungskraft und Führungsvermögen. An Frauen hingegen gibt es widersprüchliche Anforderungen. Einerseits wird erwartet, dass sie Aufgaben übernehmen, gleichzeitig sollten sie aber keine Führungsrolle innehaben. Sie werden andauernd sexualisiert, gleichzeitig dürfen sie sich nicht allzu sexuell darzustellen.
RUND: Geht die Debatte um die Fernsehreporterin Claudia Neumann, die bei der Fußball-EM in Frankreich ein Spiel kommentierte in dieselbe Richtung?
Robert Claus: Ja, es gibt Gemeinsamkeiten. Da zeigt sich der gleiche Mechanismus. Ob Claudia Neumann, die Ultraszene oder auch die Schiedsrichterin Bibiana Steinhaus. In allen drei Fällen sind Frauen am Fußball interessiert und sind kompetent in ihrem Bereich. Trotzdem werden sie immer wieder angegriffen, sobald sie herausragen oder eben Führungsaufgaben übernehmen.
RUND: Ihre Studie liefert in der Debatte um Fußball und Gewalt einen interessanten Aspekt ...
Robert Claus: In der Forschung zu dem Thema gibt es eine große Lücke. In allen Debatten um Gewalt und Fußball, wurde viel zu selten über das Thema Männlichkeit geredet. Unserer Studie zufolge gibt es einen sehr engen Zusammenhang zwischen den Vorstellungen von Männlichkeit, die viele Fanszenen vertreten, und der Gewalt im Fußball. Einschränkend muss man sagen, dass sich unsere Studie auf den engen Kern der Fanszene, also auf Ultrakultur, beschränkt. Und zweitens gibt es natürlich auch Fangruppen, die sich gegen Gewalt und Diskriminierung wenden und auch eine andere Idee von Männlichkeit leben. Aber diese Gruppen sind deutlich in der Minderzahl.
RUND: Es wird also im männerdominierten Fußball zu wenig über Männlichkeit gesprochen?
Robert Claus: Ja, in der Debatte gibt es ein großes Missverständnis. Immer wenn Menschen über Geschlecht und Fußball reden, sprechen sie automatisch über Frauen. Sie verbinden mit geschlechterreflektierter Jugendarbeit in der Fanszene zum Beispiel einen Mädchentreff. Das ist einerseits nicht falsch, aber sehr verkürzt. Denn auch Männer haben mit dem Thema Geschlecht zu tun. Und auch Männlichkeit ist ein Geschlechterthema. Darüber müssen wir viel mehr reden.
RUND: Welche Ansätze für die praktische Fanarbeit liefert Ihre Studie?
Robert Claus: Wie gesagt, wenn wir über Gewaltprävention reden, müssen wir mehr über das Thema Männlichkeit reden. Gewalt ist ein zentrales Mittel, um Männlichkeit in solch einer Szene zu beweisen. Das wiederum muss Einfluss in die soziale Arbeit finden. Soziale Arbeit ist ja in erster Linie Beziehungsarbeit. Man muss den Jungs den Druck nehmen, Männlichkeit beweisen zu müssen. Druck nehmen, cool sein zu müssen, Härte beweisen zu müssen. Dabei muss auch das Thema Homophobie mehr auf die Agenda. So wie das Thema Rassismus, das schon lange auf der Agenda der Vereine, Verbände und Fanprojekte ist. Es gibt zwar Ansätze, die aber weiter gefördert werden müssen. Natürlich kann soziale Arbeit in dem Punkt nicht alle Probleme lösen, aber sie kann sich weiter professionalisieren.
RUND: Wie geht es nun weiter?
Robert Claus: Unsere Studie gehört zu einem längerfristigen Projekt „Kicks für alle!“. Für die Studie selbst haben wir unter anderem qualitative Interviews mit Fanprojekten und Ultragruppen geführt. Anhand der Ergebnisse wollen wir nun praxisorientierte Tipps für die Arbeit in der Fanszene in einer Handreichung herausgeben.
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