DAS DERBY IN SEVILLA
Wenn eine Stadt den Kopf verliert
Emotionaler kann ein Fußballspiel nicht sein. Wenn der FC Sevilla im Lokalderby gegen den Rivalen Betis spielt, gehen mit den Bewohnern einer ganzen Stadt die Gefühle durch. Von Matthias Greulich (Text) und Sebastian Vollmert (Fotos)
Tor für den FC Sevilla. Foto Sebastian Vollmert
Auf der vierspurigen Straße stehen sich die Mannschaften zum ersten Mal gegenüber. Die Guardia Civil hat alles abgesperrt. Sie schickt den dunkelgrünen Bus von Betis Sevilla als ersten ins Stadion – nicht ohne ihm eine Eskorte von mehreren Beamten auf Polizeipferden mitzugeben. „Raus mit euch aus Sevilla!“ Hinter den Absperrungen stehen die Sevillis-tas, wie die Fans des FC Sevilla genannt werden, und zeigen ihren Mittelfinger. Etwas Flüssigkeit, die von einem Wurfgeschoss herrühren muss, läuft die getönten Scheiben herunter, hinter der man die Spieler nur erahnen kann. „Muerte“, ruft eine Frau, sie wünscht dem Lokalrivalen den Tod. Ihre Verwünschungen halten nicht lange an das nächste Fahrzeug biegt schon im langsamen Triumphzug um die Ecke. „Campeónes“, singt sie mit den anderen, die Spieler von Sevilla winken, an der anderen Straßenecke sind Böller zu hören und rötliche Rauchschwaden steigen in die Luft.
Drinnen, im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán, geht das Spektakel weiter. Grün-Weiß, die Farben von Real Betis Balompie sind nicht zu sehen. Nur die gleichfarbige andalusische Fahne könnte den Spielern unten auf dem Rasen Mut machen, aber sie weht ganz oben, neben der steil emporragenden Tribüne im Abendhimmel. Der kleine Gästeblock füllt sich erst in letzter Minute. Die 750 Ultras von Betis sind aus Sicherheitsgründen erst kurz vor dem Anpfiff von der Polizei zum Stadiontor geleitet worden. Sie sehen nicht, wie Fréderic Kanouté, der lange Stürmer aus Mali, das Tor im ersten Versuch nur knapp verfehlt. Mehr als 40.000 Münder machen „Uih“. Es klingt staunend, das Derby zwischen dem FC Sevilla und dem Lokalrivalen Real Betis Balompié besteht also doch nicht nur aus Emotionen, sondern kann für Momente auch ein simples Fußballspiel sein.
Einige Minuten später trifft Kanouté genauer, und die ganze Spannung der letzten Monate entlädt sich in einem lang gezogenen Jubel, der in ein undefinierbares Getöse übergeht und schließlich im Absingen der Vereinshymne mündet. Der Sevilla Fútbol Club erlebt gerade eine stolze Phase seiner Geschichte: Seit der Niederlage im Lokalderby im April bei Betis -haben sie nicht mehr verloren, im Uefa-Cup schalteten sie Schalke im Halbfinale aus, demontierten Middlesbrough im Endspiel, gewannen den europäischen Supercup mit 3:0 gegen den FC Barcelona. Als Tabellenführer der Primera División haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben, die Sevillistas sind seit Langem wieder einmal klarer Favorit im Sevillanischen Derby.
Donnerstag, drei Tage vor Anpfiff
„Häng deinen Rucksack an den Haken am Tresen und setz dich zu uns“, sagt Alberto und deutet auf den Boden der Bar im populären Stadtviertel Triana, wo viele schmutzige Servietten liegen. Im Fernsehen läuft Fußball. Der FC Sevilla hat in der ersten Runde des Uefa-Cups 2:1 beim griechischen Außenseiter Atromitos gewonnen, doch das scheint auch Albertos Kumpel, den Sevillista José Luis kaum zu interessieren. „Wer hat mehr Titel gewonnen?“, fragt er und zeigt das Mannschaftsfoto der Spieler mit dem Supercup auf dem Display seines Handys. Alberto, der Bético, wie die Betis-Fans heißen, kennt die Frotzeleien zu Genüge und erinnert daran, dass es die Grün-Weißen waren, die den ersten Meistertitel nach Andalusien holten. 1935, kurz vor dem spanischen Bürgerkrieg, war das. Allerdings hat Sevilla eine längere Tradition: Betis ist zwei Jahre jünger und wird erst 2007 sein „Centenario“, seinen hundertjährigen Geburtstag feiern. Warum einige Abtrünnige des Sevilla Fútbol Club sich neu organisierten, bietet Stoff für Legenden. Die feinen Herrn von Sevilla wollten einen Arbeiter nicht Fußball spielen lassen, Betis gilt deshalb als der volkstümlichere Klub der 700.000-Einwohner-Stadt. Man müsse sich entscheiden, ob man Bético oder Sevillista sei, dennoch gäbe es in vielen Familien oder Freundeskreisen Anhänger beider Klubs. „Welchen Verein findest du sympathischer?“, fragt José Luis am frühen Morgen, nachdem alle Geschichten erzählt sind. Als der Gast aus Deutschland sagt, dass er schon mal bei Betis im Stadion war und es ihm dort gefallen habe, wirkt er tatsächlich etwas verletzt.
Freitag
Die Spieler des FC Sevilla sind aus Griechenland zurückgekehrt und haben in ihrem Trainingsgelände, der Ciudad Deportiva, am Stadtrand trainiert. Im Schatten einer hohen Palme, an der rotbraune Datteln hängen, wäscht Zeugwart Rafael Rios die Wäsche aller Teams von den Kindern bis zu den Profis. Wer gewinnen wird? „Was für eine Frage“, lacht er im breitesten Andaluz, dem Dialekt, der für viele Spanier so klingt, wie bayerische Mundart für einen Hannoveraner. Noch vor einer halben Stunde saß hier Christian Poulsen, der Neuzugang aus Schalke auf dem Plastikstuhl und gab Interviews. „Ich fahre viel mit dem Taxi. Entweder fährt mich jemand von Betis oder Sevilla. Es ist eine sehr gesunde Rivalität“, sagt der Däne, der bereits Stammspieler ist.
Poulsens Mitspieler Andreas Hinkel hat sich dagegen nicht für einen Einsatz empfohlen, der ehemalige Stuttgarter hat gestern mit einem Fehler den Anschlusstreffer der Griechen eingeleitet. Obwohl er häufig auf der Reservebank sitzt, wirkt Hinkel im Vergleich zu den letzten Monaten in Deutschland, als er sich zu-nehmend von seinen Mitspielern abgekapselt hatte, wie ausgewechselt. „Ich rede sehr viel mit dem Trainer, der mir Mut macht“, sagt er, „wir haben eine gute Mannschaft, es stimmt auch menschlich.“
Zeugwart Rios zeigt uns die neue Sporthalle, die der ehrgeizige Präsident José María del Nido eingeweiht hat und wo alles voller Fitnessgeräte steht. Del Nido, der sich in der Sportzeitung „Marca“ zur „zweitwichtigsten Person der Erde nach dem Papst“ erklärt hat, will bald wieder neu bauen lassen, eine größere Ciudad Deportiva ist in Planung. Wir fahren weiter ins Stadion, das im Stadtteil Nervión liegt. Dort, wo Toni Schumacher im WM-Halbfinale 1982 dem Franzosen Patrick Battiston niederstreckte, wird der Rasen für das Derby teilweise ausgewechselt. Pressechef Jesús Gomez erlaubt keine Fotos vom leicht bräunlichen Grün, erst am kommenden Tag seien Aufnahmen möglich, nach dem morgigen Geheimtraining.
Samstag, vormittags
Auch bei Betis sind heute die Türen zu. Geheimtraining. Hinter den meterhohen Wänden des Trainingsgeländes übt das Team Torschüsse, wie Anhänger berichten, die von einen nahe gelegenen Hügel zurückgekehrt sind. Vor dem Tor steht ein Losverkäufer, und in einem Corsa hat jemand die Anlage laut aufgedreht. Man hört das Vereinslied „Mucho Beti“, das so heißt, weil das „s“ am Ende im Andalusischen nicht mitgesprochen wird. Endlich geht das Tor auf, und wir treffen David Odonkor, der kurz vor Ende der Transferperiode von Borussia Dortmund kam. Neben ihm steht Johann Vogel; der Kapitän der schweizerischen Nationalelf spricht vier Sprachen und übersetzt die Fragen eines spanischen Reporters an den Deutschen. Das Positivste und Negativste an Sevilla? „Positiv sind die Tapas-Bars, negativ noch gar nichts.“
Der vom AC Mailand gewechselte Vogel und Odonkor sind acht Tage zuvor angekommen und wohnen gemeinsam im Hotel. Zu ihrer Vorstellung kamen 20.000 Fans ins Stadion Manuel Ruiz de Lopera. „Das war überragendÔøΩ?, sagt der deutsche WM-Teilnehmer. Ein nicht ganz nüchterner Fan tätschelt Odonkor an der Schulter und redet auf ihn ein. „Sag ihm, dass ich das nicht versteheÔøΩ?, sagt der 22-Jährige zu Vogel. Aber der Mann redet sich in Fahrt. „Wir kommen mit 500 Ultras und machen sie platt.“ Das hat Odonkor verstanden. Auf dem Weg ins Hotel wird er erkannt, ein Autofahrer steckt den Kopf aus dem Dach: „Mucho Beti!“ Odonkor lacht: „Das Derby hier kann man nicht mit einem Spiel zwischen Dortmund und Schalke vergleichen.“ Vogel fragt den Hotelangestellten noch, ob es eine Bibliothek im Haus gebe, dann ziehen sich die Profis bis zum gemeinsamen Abendessen mit den Teamkollegen, die die Nacht vor dem Derby ebenfalls hier verbringen werden, zurück.
Drinnen, im Estadio Ramón Sánchez Pizjuán, geht das Spektakel weiter. Grün-Weiß, die Farben von Real Betis Balompie sind nicht zu sehen. Nur die gleichfarbige andalusische Fahne könnte den Spielern unten auf dem Rasen Mut machen, aber sie weht ganz oben, neben der steil emporragenden Tribüne im Abendhimmel. Der kleine Gästeblock füllt sich erst in letzter Minute. Die 750 Ultras von Betis sind aus Sicherheitsgründen erst kurz vor dem Anpfiff von der Polizei zum Stadiontor geleitet worden. Sie sehen nicht, wie Fréderic Kanouté, der lange Stürmer aus Mali, das Tor im ersten Versuch nur knapp verfehlt. Mehr als 40.000 Münder machen „Uih“. Es klingt staunend, das Derby zwischen dem FC Sevilla und dem Lokalrivalen Real Betis Balompié besteht also doch nicht nur aus Emotionen, sondern kann für Momente auch ein simples Fußballspiel sein.
Einige Minuten später trifft Kanouté genauer, und die ganze Spannung der letzten Monate entlädt sich in einem lang gezogenen Jubel, der in ein undefinierbares Getöse übergeht und schließlich im Absingen der Vereinshymne mündet. Der Sevilla Fútbol Club erlebt gerade eine stolze Phase seiner Geschichte: Seit der Niederlage im Lokalderby im April bei Betis -haben sie nicht mehr verloren, im Uefa-Cup schalteten sie Schalke im Halbfinale aus, demontierten Middlesbrough im Endspiel, gewannen den europäischen Supercup mit 3:0 gegen den FC Barcelona. Als Tabellenführer der Primera División haben sich die Kräfteverhältnisse verschoben, die Sevillistas sind seit Langem wieder einmal klarer Favorit im Sevillanischen Derby.
Donnerstag, drei Tage vor Anpfiff
„Häng deinen Rucksack an den Haken am Tresen und setz dich zu uns“, sagt Alberto und deutet auf den Boden der Bar im populären Stadtviertel Triana, wo viele schmutzige Servietten liegen. Im Fernsehen läuft Fußball. Der FC Sevilla hat in der ersten Runde des Uefa-Cups 2:1 beim griechischen Außenseiter Atromitos gewonnen, doch das scheint auch Albertos Kumpel, den Sevillista José Luis kaum zu interessieren. „Wer hat mehr Titel gewonnen?“, fragt er und zeigt das Mannschaftsfoto der Spieler mit dem Supercup auf dem Display seines Handys. Alberto, der Bético, wie die Betis-Fans heißen, kennt die Frotzeleien zu Genüge und erinnert daran, dass es die Grün-Weißen waren, die den ersten Meistertitel nach Andalusien holten. 1935, kurz vor dem spanischen Bürgerkrieg, war das. Allerdings hat Sevilla eine längere Tradition: Betis ist zwei Jahre jünger und wird erst 2007 sein „Centenario“, seinen hundertjährigen Geburtstag feiern. Warum einige Abtrünnige des Sevilla Fútbol Club sich neu organisierten, bietet Stoff für Legenden. Die feinen Herrn von Sevilla wollten einen Arbeiter nicht Fußball spielen lassen, Betis gilt deshalb als der volkstümlichere Klub der 700.000-Einwohner-Stadt. Man müsse sich entscheiden, ob man Bético oder Sevillista sei, dennoch gäbe es in vielen Familien oder Freundeskreisen Anhänger beider Klubs. „Welchen Verein findest du sympathischer?“, fragt José Luis am frühen Morgen, nachdem alle Geschichten erzählt sind. Als der Gast aus Deutschland sagt, dass er schon mal bei Betis im Stadion war und es ihm dort gefallen habe, wirkt er tatsächlich etwas verletzt.
Freitag
Die Spieler des FC Sevilla sind aus Griechenland zurückgekehrt und haben in ihrem Trainingsgelände, der Ciudad Deportiva, am Stadtrand trainiert. Im Schatten einer hohen Palme, an der rotbraune Datteln hängen, wäscht Zeugwart Rafael Rios die Wäsche aller Teams von den Kindern bis zu den Profis. Wer gewinnen wird? „Was für eine Frage“, lacht er im breitesten Andaluz, dem Dialekt, der für viele Spanier so klingt, wie bayerische Mundart für einen Hannoveraner. Noch vor einer halben Stunde saß hier Christian Poulsen, der Neuzugang aus Schalke auf dem Plastikstuhl und gab Interviews. „Ich fahre viel mit dem Taxi. Entweder fährt mich jemand von Betis oder Sevilla. Es ist eine sehr gesunde Rivalität“, sagt der Däne, der bereits Stammspieler ist.
Poulsens Mitspieler Andreas Hinkel hat sich dagegen nicht für einen Einsatz empfohlen, der ehemalige Stuttgarter hat gestern mit einem Fehler den Anschlusstreffer der Griechen eingeleitet. Obwohl er häufig auf der Reservebank sitzt, wirkt Hinkel im Vergleich zu den letzten Monaten in Deutschland, als er sich zu-nehmend von seinen Mitspielern abgekapselt hatte, wie ausgewechselt. „Ich rede sehr viel mit dem Trainer, der mir Mut macht“, sagt er, „wir haben eine gute Mannschaft, es stimmt auch menschlich.“
Zeugwart Rios zeigt uns die neue Sporthalle, die der ehrgeizige Präsident José María del Nido eingeweiht hat und wo alles voller Fitnessgeräte steht. Del Nido, der sich in der Sportzeitung „Marca“ zur „zweitwichtigsten Person der Erde nach dem Papst“ erklärt hat, will bald wieder neu bauen lassen, eine größere Ciudad Deportiva ist in Planung. Wir fahren weiter ins Stadion, das im Stadtteil Nervión liegt. Dort, wo Toni Schumacher im WM-Halbfinale 1982 dem Franzosen Patrick Battiston niederstreckte, wird der Rasen für das Derby teilweise ausgewechselt. Pressechef Jesús Gomez erlaubt keine Fotos vom leicht bräunlichen Grün, erst am kommenden Tag seien Aufnahmen möglich, nach dem morgigen Geheimtraining.
Samstag, vormittags
Auch bei Betis sind heute die Türen zu. Geheimtraining. Hinter den meterhohen Wänden des Trainingsgeländes übt das Team Torschüsse, wie Anhänger berichten, die von einen nahe gelegenen Hügel zurückgekehrt sind. Vor dem Tor steht ein Losverkäufer, und in einem Corsa hat jemand die Anlage laut aufgedreht. Man hört das Vereinslied „Mucho Beti“, das so heißt, weil das „s“ am Ende im Andalusischen nicht mitgesprochen wird. Endlich geht das Tor auf, und wir treffen David Odonkor, der kurz vor Ende der Transferperiode von Borussia Dortmund kam. Neben ihm steht Johann Vogel; der Kapitän der schweizerischen Nationalelf spricht vier Sprachen und übersetzt die Fragen eines spanischen Reporters an den Deutschen. Das Positivste und Negativste an Sevilla? „Positiv sind die Tapas-Bars, negativ noch gar nichts.“
Der vom AC Mailand gewechselte Vogel und Odonkor sind acht Tage zuvor angekommen und wohnen gemeinsam im Hotel. Zu ihrer Vorstellung kamen 20.000 Fans ins Stadion Manuel Ruiz de Lopera. „Das war überragendÔøΩ?, sagt der deutsche WM-Teilnehmer. Ein nicht ganz nüchterner Fan tätschelt Odonkor an der Schulter und redet auf ihn ein. „Sag ihm, dass ich das nicht versteheÔøΩ?, sagt der 22-Jährige zu Vogel. Aber der Mann redet sich in Fahrt. „Wir kommen mit 500 Ultras und machen sie platt.“ Das hat Odonkor verstanden. Auf dem Weg ins Hotel wird er erkannt, ein Autofahrer steckt den Kopf aus dem Dach: „Mucho Beti!“ Odonkor lacht: „Das Derby hier kann man nicht mit einem Spiel zwischen Dortmund und Schalke vergleichen.“ Vogel fragt den Hotelangestellten noch, ob es eine Bibliothek im Haus gebe, dann ziehen sich die Profis bis zum gemeinsamen Abendessen mit den Teamkollegen, die die Nacht vor dem Derby ebenfalls hier verbringen werden, zurück.
Das letzt Geheimtraining vor dem Derby: Betis-Fans schauen von einem Hügel den Übungen zu. Foto Sebastian Vollmert
Samstag, mittags
In einem Restaurant in der Innenstadt wartet Pepe Elias auf uns, der für den „Correo de Andalucía" seit 25 Jahren über Betis berichtet. Sieben Seiten widmet die Tageszeitung dem Derby heute. „Morgen werden es zehn sein“, verspricht Pepe. Ist Betis eher politisch links einzuordnen, Sevilla eher rechts? „Das sagt man so, aber es ist nicht mehr ganz so extrem wie früher.“ Gerne spricht man von den „Dos Espanas“, einem zweigeteilten Land, das durch den spanischen Bürgerkrieg entzweit wurde. Betis verlor viele gute Spieler, die emigrierten, Sevilla nutzte die Franco-Herrschaft aus, um Betis zu überflügeln. „Es sind viele schlimme Dinge passiert“, so Elias.
Doch mit der „Transición“, den Jahren des Übergangs zur Demokratie, wurde Betis vom Establishment vereinnahmt. Der Bürgermeister und der Chef der andalusischen Regierung sind Béticos. Der ehemalige spanische Regierungschef Félipe Gonzalez, der in seinen Jugendjahren in die neben dem Stadion gelegene Schule im Heliópolis-Viertel ging, ist es auch. Einige Zeit sah es sogar so aus, als würde der FC Sevilla wegen eines immensen Schuldenberges von der Landkarte verschwinden, inzwi-schen urteilt Elias, „dass Sevilla besser organisiert als Betis ist und die beste Mannschaft seit 50 Jahren“ habe.
Samstag, abends
In der Peña vom jüngsten Fanklub des FC Sevilla „Primero Centenario“, melden wir unseren Besuch für morgen an. Sie wurde nach einem Auswärtsspiel in Russland gegründet, deshalb steht im Wappen „Anti Betis“ auf kyrillisch. „Ihr seid aber nicht von Antena 3, oder? Dann würden wir euch nicht reinlassen.“ Der Fernsehsender ist in diesen Tagen fast noch unbeliebter als Betis, seit sich die Verantwortlichen mit Präsident del Nido nicht über das Fernsehgeld einigen konnten. Der Sender habe Zusagen nicht eingehalten. Das Spiel wird deshalb morgen nur im Radio live zu hören sein. Viele Peñas beider Klubs werden schließen, weil die Fans die Partie in Ruhe zu Hause hören wollen.
Sonntag, nachmittags
Die Ultras von Betis sammeln sich um drei Uhr vor dem eigenen Stadion und fahren mit ihren Autos zu verschiedenen Treffpunkten davon, wobei sie auf dem Stadionvorplatz ordentlich Staub aufwirbeln. Bis auf eine einzige Frau sind nur Männer zu sehen. Auch wir fahren in Richtung Nervión. Im „Primero Centenario“ feiern viele Frauen und Kinder im Trikot. Dass Journalisten aus Deutschland kommen, scheinen alle Anwesenden zu wissen. Carlos, der in Bocholt aufwuchs, spricht uns auf Deutsch an und stellt uns seiner Familie vor. Der Zahnarzt trägt ein rot-weiß gestreiftes Oberhemd und wird nachher in der Präsidentenloge das Spiel sehen. „Wir sind das erste Mal seit Ewigkeiten komplett ausverkauft“, sagt er mit leicht westfälischem Dialekt. Sein Vater ging vor vier Jahren zurück nach Spanien. Das alte Sevilla habe ihm besser gefallen, sagt der 63-Jährige. Die Stadt sei so groß geworden, überall Bauarbeiten, wenigstens arbeiten sie jetzt endlich an einer U-Bahn.
Sonntag, 19 Uhr, Anpfiff
Die beiden Deutschen sehen die Partie nur vom Spielfeldrand aus. Hinkel ist nicht im Kader, sitzt aber mit auf der Bank. Odonkor hofft auf seinen ersten Einsatz in einem Pflichtspiel seit der Weltmeisterschaft. Beide sehen, wie der FC Sevilla sich müht, der Favoritenrolle gerecht zu werden, während Betis sich nicht einschüchtern lässt. Zur Halbzeit steht es 1:1, viele Unterbrechungen. Spielt eine Mannschaft den Ball anschließend zum Gegner zurück, klatscht fast niemand, bleibt ein Betis-Spieler nach einem Foul liegen, gibt es ein Pfeifkonzert, viele Fans springen auf. Es ist ein Spiel, das wie für Spielertypen wie Poulsen geschaffen ist, der die Betis-Spieler immer wieder abblockt und Szenenapplaus bekommt. Vogel auf der anderen Seite spielt strategischer, aber ebenso wirkungsvoll. Meist passt er nach der Balleroberung quer zum Nebenmann, aber Anfangs der zweiten Hälfte sieht er die Lücke. Sein langer Pass wird im Nachschuss verwandelt, Betis führt. Nach wenigen Sekunden beginnen die Sevillistas dennoch wieder zu singen. Kanouté trifft mit seinem zweiten Tor zum 2:2-Ausgleich. Minuten später läuft Francisco José Maldonado alleine auf Sevillas Torwart Andrés Palop zu und fällt. Die Sevillistas fürchten den Elfmeterpfiff, aber der Schiedsrichter hat vorher ein Foul eines Betis-Spielers gesehen und pfeift Freistoß für Sevilla. Die Proteste der Grün-Weißen gehen in einem ungläubigen Gemurmel der Zuschauer unter, über diese Szene wird in den kommenden Monaten noch lange diskutiert werden.
Nach 65 Minuten kommt Odonkor ins Spiel. Wie immer lauert er auf der rechten Außenbahn, doch seine Mitspieler sehen ihn nicht. Einmal spielt einer von links herüber, doch der Deutsche stoppt den Ball Zentimeter hinter der Linie. Er findet keine Bindung, obwohl er leidenschaftlich die Linie auf und ab rennt, wie man es aus Dortmund von ihm kennt. Aber bei Betis wissen sie noch nicht, wie sie seine Schnelligkeit einsetzen sollen, die Kritiken sind schlecht: „Nada de nada“, „ganz und gar nichts“, sei die Leistung des Neuzugangs wert gewesen, schreibt Elias im „Correo de Andalucía“. In den Fanforen reagieren die Béticos sensibler. Vielleicht hätte man Odonkor nicht gleich im Derby ins kalte Wasser werfen dürfen, schreibt einer, der sich noch viel von dem Deutschen verspricht.
Sevilla erhöht den Druck nun noch einmal, das Kollektiv, das ohne Weltstars wie die Konkurrenten von Bar√ßa oder Madrid auskommt, bereitet jetzt die Entscheidung vor. Wie ein Torer-der weiß, dass sich der Stier müde gelaufen hat, gibt es Chancen im Minutentakt. Der Brasilianer Renato ist es, der Betis schließlich mit einem wunderschönen Tor den entscheidenden Stich versetzt: 3:2, Sevilla hat mehr als ein Spiel gewonnen, auf den Straßen von Nervión wird lange gehupt und gesungen. „Sevilla Campéon!“ Die Rot-Weißen dürfen sich bis zum Rückspiel im Februar als Sieger fühlen, bis sich die beiden Mannschaftsbusse in Heliópolis vor dem Stadion von Betis gegenüberstehen werden.
In einem Restaurant in der Innenstadt wartet Pepe Elias auf uns, der für den „Correo de Andalucía" seit 25 Jahren über Betis berichtet. Sieben Seiten widmet die Tageszeitung dem Derby heute. „Morgen werden es zehn sein“, verspricht Pepe. Ist Betis eher politisch links einzuordnen, Sevilla eher rechts? „Das sagt man so, aber es ist nicht mehr ganz so extrem wie früher.“ Gerne spricht man von den „Dos Espanas“, einem zweigeteilten Land, das durch den spanischen Bürgerkrieg entzweit wurde. Betis verlor viele gute Spieler, die emigrierten, Sevilla nutzte die Franco-Herrschaft aus, um Betis zu überflügeln. „Es sind viele schlimme Dinge passiert“, so Elias.
Doch mit der „Transición“, den Jahren des Übergangs zur Demokratie, wurde Betis vom Establishment vereinnahmt. Der Bürgermeister und der Chef der andalusischen Regierung sind Béticos. Der ehemalige spanische Regierungschef Félipe Gonzalez, der in seinen Jugendjahren in die neben dem Stadion gelegene Schule im Heliópolis-Viertel ging, ist es auch. Einige Zeit sah es sogar so aus, als würde der FC Sevilla wegen eines immensen Schuldenberges von der Landkarte verschwinden, inzwi-schen urteilt Elias, „dass Sevilla besser organisiert als Betis ist und die beste Mannschaft seit 50 Jahren“ habe.
Samstag, abends
In der Peña vom jüngsten Fanklub des FC Sevilla „Primero Centenario“, melden wir unseren Besuch für morgen an. Sie wurde nach einem Auswärtsspiel in Russland gegründet, deshalb steht im Wappen „Anti Betis“ auf kyrillisch. „Ihr seid aber nicht von Antena 3, oder? Dann würden wir euch nicht reinlassen.“ Der Fernsehsender ist in diesen Tagen fast noch unbeliebter als Betis, seit sich die Verantwortlichen mit Präsident del Nido nicht über das Fernsehgeld einigen konnten. Der Sender habe Zusagen nicht eingehalten. Das Spiel wird deshalb morgen nur im Radio live zu hören sein. Viele Peñas beider Klubs werden schließen, weil die Fans die Partie in Ruhe zu Hause hören wollen.
Sonntag, nachmittags
Die Ultras von Betis sammeln sich um drei Uhr vor dem eigenen Stadion und fahren mit ihren Autos zu verschiedenen Treffpunkten davon, wobei sie auf dem Stadionvorplatz ordentlich Staub aufwirbeln. Bis auf eine einzige Frau sind nur Männer zu sehen. Auch wir fahren in Richtung Nervión. Im „Primero Centenario“ feiern viele Frauen und Kinder im Trikot. Dass Journalisten aus Deutschland kommen, scheinen alle Anwesenden zu wissen. Carlos, der in Bocholt aufwuchs, spricht uns auf Deutsch an und stellt uns seiner Familie vor. Der Zahnarzt trägt ein rot-weiß gestreiftes Oberhemd und wird nachher in der Präsidentenloge das Spiel sehen. „Wir sind das erste Mal seit Ewigkeiten komplett ausverkauft“, sagt er mit leicht westfälischem Dialekt. Sein Vater ging vor vier Jahren zurück nach Spanien. Das alte Sevilla habe ihm besser gefallen, sagt der 63-Jährige. Die Stadt sei so groß geworden, überall Bauarbeiten, wenigstens arbeiten sie jetzt endlich an einer U-Bahn.
Sonntag, 19 Uhr, Anpfiff
Die beiden Deutschen sehen die Partie nur vom Spielfeldrand aus. Hinkel ist nicht im Kader, sitzt aber mit auf der Bank. Odonkor hofft auf seinen ersten Einsatz in einem Pflichtspiel seit der Weltmeisterschaft. Beide sehen, wie der FC Sevilla sich müht, der Favoritenrolle gerecht zu werden, während Betis sich nicht einschüchtern lässt. Zur Halbzeit steht es 1:1, viele Unterbrechungen. Spielt eine Mannschaft den Ball anschließend zum Gegner zurück, klatscht fast niemand, bleibt ein Betis-Spieler nach einem Foul liegen, gibt es ein Pfeifkonzert, viele Fans springen auf. Es ist ein Spiel, das wie für Spielertypen wie Poulsen geschaffen ist, der die Betis-Spieler immer wieder abblockt und Szenenapplaus bekommt. Vogel auf der anderen Seite spielt strategischer, aber ebenso wirkungsvoll. Meist passt er nach der Balleroberung quer zum Nebenmann, aber Anfangs der zweiten Hälfte sieht er die Lücke. Sein langer Pass wird im Nachschuss verwandelt, Betis führt. Nach wenigen Sekunden beginnen die Sevillistas dennoch wieder zu singen. Kanouté trifft mit seinem zweiten Tor zum 2:2-Ausgleich. Minuten später läuft Francisco José Maldonado alleine auf Sevillas Torwart Andrés Palop zu und fällt. Die Sevillistas fürchten den Elfmeterpfiff, aber der Schiedsrichter hat vorher ein Foul eines Betis-Spielers gesehen und pfeift Freistoß für Sevilla. Die Proteste der Grün-Weißen gehen in einem ungläubigen Gemurmel der Zuschauer unter, über diese Szene wird in den kommenden Monaten noch lange diskutiert werden.
Nach 65 Minuten kommt Odonkor ins Spiel. Wie immer lauert er auf der rechten Außenbahn, doch seine Mitspieler sehen ihn nicht. Einmal spielt einer von links herüber, doch der Deutsche stoppt den Ball Zentimeter hinter der Linie. Er findet keine Bindung, obwohl er leidenschaftlich die Linie auf und ab rennt, wie man es aus Dortmund von ihm kennt. Aber bei Betis wissen sie noch nicht, wie sie seine Schnelligkeit einsetzen sollen, die Kritiken sind schlecht: „Nada de nada“, „ganz und gar nichts“, sei die Leistung des Neuzugangs wert gewesen, schreibt Elias im „Correo de Andalucía“. In den Fanforen reagieren die Béticos sensibler. Vielleicht hätte man Odonkor nicht gleich im Derby ins kalte Wasser werfen dürfen, schreibt einer, der sich noch viel von dem Deutschen verspricht.
Sevilla erhöht den Druck nun noch einmal, das Kollektiv, das ohne Weltstars wie die Konkurrenten von Bar√ßa oder Madrid auskommt, bereitet jetzt die Entscheidung vor. Wie ein Torer-der weiß, dass sich der Stier müde gelaufen hat, gibt es Chancen im Minutentakt. Der Brasilianer Renato ist es, der Betis schließlich mit einem wunderschönen Tor den entscheidenden Stich versetzt: 3:2, Sevilla hat mehr als ein Spiel gewonnen, auf den Straßen von Nervión wird lange gehupt und gesungen. „Sevilla Campéon!“ Die Rot-Weißen dürfen sich bis zum Rückspiel im Februar als Sieger fühlen, bis sich die beiden Mannschaftsbusse in Heliópolis vor dem Stadion von Betis gegenüberstehen werden.
"Nicht mit Schalke gegen Dortmund zu vergleichen": David Odonkor vor seinem ersten Einsatz für Betis Sevilla. Foto Sebastian Vollmert
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