Biographie
Willi Lemke: Ein Leben für Werder und die Politik
Senator, SPD-Politiker und 20 Jahre Manager des SV Werder Bremen: Über den am 12. August 2024 verstorbenen Willi Lemke ist eine lesenswerte Biographie erschienen. Von Jörg Marwedel
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„Ein Outing wäre mein Tod“
Schwule Fußballprofis gibt es nicht, so eine weit verbreitete Meinung. Dabei müsste – statistisch betrachtet – einer von elf Bundesligaspielern homosexuell sein. Dem RUND-Magazin sind drei schwule Profis bekannt, doch Namen können und sollen in dieser Geschichte nicht genannt werden – das Klima im Fußball ist immer noch derart schwulenfeindlich, dass die Folgen für die Spieler nicht abzusehen wären. Die Titelgeschichte aus dem Dezember 2006 von Oliver Lück und Rainer Schäfer
Das Cover von RUND #17_12_2006
Enver* hat aufgegeben. Der homosexuelle Fußballprofi, der RUND im Jahr 2004 von seinem verdeckten und angsterfüllten Leben in Deutschland erzählt hatte, spielt nicht mehr in der Bundesliga. Viel zu selten hatte Enver seine enormen fußballerischen Fähigkeiten zeigen können, ständig gehetzt und hin- und hergerissen, seine Homosexualität ausleben, aber auch seinem Klub keine Schande machen zu wollen. Deprimiert hat er das Land verlassen, das ihm zwar Wohlstand ermöglichte, ihm aber nie das Gefühl verlieh, so leben zu können, wie er wollte: als Mann, der Männer liebt. Das ist noch immer das größtmögliche Tabu im schwulenfeindlichen Fußball, in dem es eher möglich erscheint, dass Männer und Frauen gemeinsam in einem Team auftreten, als dass ein bekennender Schwuler in einer professionellen Mannschaft akzeptiert wird.
Schicksale wie Envers sind im deutschen Fußball keine Ausnahme, obwohl es in der offiziellen Lebens- und Denkweise keine Schwulen im harten Männersport geben darf. Oder geben kann – eine beliebte Theorie besagt, dass schwule Fußballer von sich aus aufgeben, weil sie sich nicht zurechtfinden in einer Welt, in der „warme Brüder“ nicht existieren können. Ein Irrtum, bei manchen ist die Liebe zum Fußball noch größer als die Unsicherheit, wie sie mit ihrer verpönten sexuellen Orientierung zurechtkommen könnten.
RUND sind namentlich drei homosexuelle Spieler aus der Ersten und Zweiten Bundesliga bekannt. Doch Namen können und sollen hier nicht genannt werden. Solange der Fußball derart hasserfüllt und verachtend über seine „Schwuchteln“ redet, ist die Gefahr zu groß, wenn jemand gegen seinen Willen öffentlich geoutet wird. Daher verhalten sie sich so unauffällig, wie es die Verbände, meisten Klubs und Fußballer wünschen: als quasi nicht existent. Von einem Sportpsychologen werden seit Jahren homosexuelle Fußballprofis beraten. Hierzu gehören auch Spieler, die zweifelsohne zu den besten in Deutschland zählen. „Ich weiß aus meiner Beratungsarbeit, dass diese Spieler für sich nur die Wahl sehen, ein Versteckspiel zu führen und ihre Homosexualität zu vertuschen, vor dem Trainer, der Mannschaft und dem eigenen Management. Das stellt eine erhebliche psychosoziale Belastung dar. Das kann der Anlass sein, weshalb jemand zu mir kommt“, verdeutlicht der Psychologe.
Dabei musste in 43 Jahren Bundesliga keiner der heterosexuellen Kollegen mit dem Arsch zur Wand duschen, aus Angst, dass er ungewollt penetriert wird, wie eines der beliebtesten Klischees besagt. „Da werden alle Ängste vor Schwulen mobilisiert, die man sich vorstellen kann“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling, „und die verbieten es, sich dem Thema zu stellen.“ Das Bild des sexuell gierenden Schwulen, immer bereit, einen der Kollegen in den weiträumigen Funktionsräumen der Stadien zu vernaschen, ist eine bittere Parodie auf die wirklichen Lebensumstände. Während ein Coming-out in anderen Gesellschaftskreisen längst nebensächlich zur Kenntnis genommen wird und schwule Politiker oder Fernsehstars mit ihren Lebenspartnern ganz selbstverständlich auf Empfängen erscheinen, leben schwule Fußballer im Geheimen.
„Natürlich fühle ich mich beschissen. Auch meine Frau weiß nichts davon“, versucht ein verzweifelter Zweitligaprofi seine absurden Lebensverhältnisse zu beschreiben. Offiziell ist er verheiratet, lebt aber schon seit seiner Jugend in einer festen Beziehung mit einem Schulfreund zusammen. „Aber was soll ich denn machen? Ein Outing wäre mein Tod.“ Der Erstligaprofi, der ebenso eine langjährige homosexuelle Partnerschaft führt, ist es leid, dass ihn eine eingeweihte Freundin zu den Mannschaftsabenden und Weihnachtsfeiern begleitet, um den Eindruck zu erwecken, „normal“ zu sein. „Die Notlügen und die Heimlichtuerei sind unglaublich belastend.“ Scheinehen, zu denen auch Kinder gehören können, dienen dazu, das Leitbild des potenten und heterosexuellen Fußballprofis aufrecht zu erhalten. Dass ein Spieler unter diesen Bedingungen selten seine bestmögliche Leistung erbringen kann, liege auf der Hand, weiß der Sportpsychologe. „Es ist eine kontinuierliche Problemlage, es geht nur darum, unter diesen Lebensumständen halbwegs zurechtzukommen. Es sind auch keine Einzelfälle, es sind ungefähr so viele Spieler wie es statistisch von der Gesamtbevölkerung her naheliegt.“ Der Anteil homosexueller Menschen dürfte bei über zehn Prozent liegen.
Verängstigt und anonym bewegen sich schwule Profis häufig in Kontaktbörsen und Gay-Chats durchs Internet, wo Penislängen, Rollenwünsche beim Sex und Fetischvorlieben im Dutzend feilgeboten werden. Die virtuellen Discounter der sexuellen Wünsche und Sonderwünsche seien zwar „kein wirklich gemütlicher Ort“, wie ein schwuler Bundesligaspieler verrät, „für mich aber die einzige Möglichkeit, andere Männer anonym kennen zu lernen und vielleicht auch treffen zu können“. Dabei versuche er seinen Chatpartner möglichst gut kennen zu lernen, etwa ob sich dieser für Fußball interessiere und ihn womöglich erkennen könnte. Ein Restrisiko bleibt jedoch immer: „Jeden Moment setze ich meine Karriere aufs Spiel.“
Tatjana Eggeling, die über „Homosexualität im Sport“ habilitiert, ist in den vergangenen beiden Jahren ein paradoxer Umgang mit dem Thema aufgefallen: Homosexualität von Fußballern sei zu einem der beliebtesten Medienthemen geworden, die tägliche Homophobie dadurch aber nicht abgebaut worden. „Eine verstärkte Wahrnehmung in der Öffentlichkeit lässt erst einmal auf einen positiven Effekt hoffen. Erst wenn über etwas geredet wird, kann man auch Veränderungen erwarten.“ Dass gerade die Boulevardmedien auf das Outing eines Profis gieren, sieht sie kritisch. „Das voyeuristische Interesse ist riesengroß. Die werden dem ersten, der sich outet, wochenlang hinterher steigen. Der Preis für ein Coming-out wäre vermutlich zu hoch, ich würde es keinem Spieler empfehlen.“ Andererseits kennt Eggeling die inneren Kämpfe und Konflikte vieler Sportler. „Etwas zu tun, wo man sehr gut und talentiert ist, bei dem man aber immer einen zentralen Teil seiner Persönlichkeit verheimlichen muss, erzeugt einen enormen Leidensdruck.“
Und die Gerüchteküche kocht auf Hochtemperatur, jede Schwulen-Community ernennt ihre Ikonen, unabhängig von deren sexuellen Ausrichtung. Mancher langjährige und ausgewiesene heterosexuelle Bundesligaspieler fällt aus allen Wolken, wenn er erfährt, dass er in den schwul-lesbischen Fanklubs, unter Journalisten und sogar im Kollegenkreis als hundertprozentig schwul gilt. „Wenn mein Name in diesem Zusammenhang auch nur angedeutet wird, werde ich alle rechtlichen Mittel ausschöpfen“, lässt einer der als schwul gehandelten Spieler ausrichten. Das Klima der Spekulation hat längst denunziatorische Züge angenommen: Dem Berliner Journalisten und Buchautoren Axel Schock wurde von einem großen Boulevardblatt gleich zweimal eine beachtliche Summe in Aussicht gestellt, wenn er einen ihm bekannten homosexuellen Profi zwangsouten würde. „Der Name war denen auch bekannt“, schildert Schock, „die wollten sich nur nicht die Finger schmutzig machen, da dies das sichere Karriereende des Spielers gewesen wäre. Ich bin überzeugt, dass Profis auf dieser Grundlage auch dazu aufgefordert werden, mit dem Medium gut zusammenzuarbeiten.“ Was einer der Spieler gegenüber RUND bestätigt: „Es gibt Journalisten, die wissen, dass ich schwul bin, behalten es aber für sich, erwarten aber auch, dass es dafür die eine oder andere Information gibt.“
Eine vertrackte Situation, in der mit Hilfe von Mitspielern, der Klubführung oder vom Verband nicht zu rechnen ist. Immerhin hat die ehemalige Bundesligaspielerin Tanja Walther auf der Anti-Rassismus-Konferenz der Uefa im Februar dieses Jahres in Barcelona einen Workshop zum Thema Homophobie geleitet, was vor ein paar Jahren noch undenkbar war. „Homophobie und Sexismus gehören nach wie vor zum Fußball wie die Abseitsregel“, lautet eine von Walthers Erkenntnissen. Immerhin ist die Uefa der einzige Verband, der erkannt hat, dass es zur Kundenbindungsstrategie gehört, den Schwulenhass in den Stadien zu thematisieren und perspektivisch zu unterbinden. Auch Homosexuelle haben den Fußball entdeckt und gelten als potenzielle Klientel, die die Stadien füllen könnte.
Der Weltverband Fifa geht aber immer noch andere Wege: So wurde ausdrücklich untersagt, dass sich Männer auf dem Platz küssen. „Die Begründung der Fifa ist absurd“, poltert Franco Grillini, Abgeordneter des italienischen Parlaments für das linke Ulivo-Bündnis und Präsident der nationalen Schwulenvereinigung Arcigay. „Man wolle damit verhindern, dass Geschlechtskrankheiten übertragen werden. Jeder weiß aber, dass man die nicht vom Küssen bekommt.“ Der Weltverband schüre auf diese Weise die Angst vor Schwulen, so Grillini. „Fußball ist der Triumph des Männlichkeitskults, der höchste Ausdruck des Macho-Gehabes.“
Auch beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) stehen Maßnahmen gegen Homophobie nicht auf der Prioritätenliste. DFB-Präsident Dr. Theo Zwanziger, der beim Thema Rassismus inzwischen kein Blatt mehr vor den Mund nimmt, möchte sich allgemein zur Diskriminierung von Randgruppen im deutschen Fußball nicht äußern. Der DFB und die DFL bilden zwar eine Task Force im Kampf gegen Gewalt, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus, die schwulenfeindlichen Auswüche werden aber ignoriert. Sechs Jahre hat es gedauert, bis der DFB den 1994 vom Bündnis aktiver Fußballfans (BAFF) vorgeschlagenen Anti-Rassismus-Paragraphen umsetzte, auf den 2002 empfohlenen Homophobiekatalog ist der Verband noch nicht eingegangen. „Beim Thema Rassismus kann der DFB es sich nicht mehr leisten zu schweigen, auch aus Imagegründen“, meint Gerd Dembowski, Fanaktivist und Fußballautor, „Homophobie aber kann man noch verdrängen. In der Hierarchie der Diskriminierungen steht sie ganz weit hinten, hinter Rassismus, Frauen und Behinderten.“
Dabei ist die Situation in deutschen Stadien alarmierend, wie BAFF-Sprecher Martin Endemann aus wöchentlichem Anschauungsunterricht weiß: „Bei Homophobie ist gar kein Bewusstsein da. Sehr viele Choreografien beschäftigen sich damit, dass der Gegner schwul ist. Ganze Kurven verbreiten homophobe Inhalte, wären es rassistische Inhalte, gäbe es einen Riesenaufruhr. Nähme der DFB Homophobie in seinen Strafenkatalog auf, müsste er fast jedes Bundesligastadion dichtmachen und jedes zweite Spiel abbrechen.“ Auch die wenigen schwul-lesbischen Fanklubs wie die Hertha Junxx in Berlin, die Rainbow-Borussen in Dortmund oder die Stuttgarter Junxx konnten die schwulenfeindliche Atmosphäre in den Bundesligastadien noch nicht nachhaltig abbauen.
Der englische Fußballverband, der schon mit Maßnahmen gegen Rassismus in britischen Stadien Vorbild für andere Verbände war, prescht auch beim Thema Homophobie nach vorne. Seit 2001 ist in der Satzung verankert, dass der Verband gegen Diskriminierung wegen sexueller Orientierung vorgeht. Seither wurden Krakeeler schwulenfeindlicher Sprüche bereits häufiger aus den Stadien geschmissen. Zwei Anhänger von Norwich City mussten gar kurzzeitig hinter Gitter und wurden zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr verurteilt.
Auf Klubebene hat Manchester City begonnen, das Schwulentabu zu zerschlagen. Manchester hat eine Charta unterschrieben, die aus ihm einen „gay friendly“-Klub macht. Dafür bezahlt City eine sechsstellige Summe an Stonewall, die mächtige Organisation mit Sitz in London, die die Rechte von Schwulen und Lesben in Großbritannien verteidigt. Bei Manchester City sollen Homosexuelle nun gleichgestellt werden. Schwules Personal wird eingestellt, die Schwulenszene der Stadt ins Stadion eingeladen. Doch auch in England die große Ausnahme: Erst kürzlich stellte die BBC allen 20 Trainern der Premiere League drei Fragen zum Thema Homosexualität im Fußball – keiner antwortete, auch Stuart Pearce nicht, der Trainer von Man City.
Und unter britischen Fans gilt der Verdacht, dass es schwule Profis auf dem Platz geben könnte, noch immer als Katastrophe. Dabei war es mit Justin Fashanu ausgerechnet ein Profi der Premier League, der sich als Erster 1990 öffentlich zu seiner Homosexualität bekannte. Acht Jahre später erhängte sich Fashanu in einer Londoner Garage. „Schwul und eine Person des öffentlichen Lebens zu sein ist hart“, schrieb er in seinem Abschiedsbrief. „Wenn sich heute einer outen würde, hätte er nicht das schönste Leben“, umschreibt Nationalspieler Robert Huth vom FC Middlesbrough die unverändert homophobe Atmosphäre, „derjenige könnte nicht mehr unbeschwert ins Stadion einlaufen. Auch die Gegenspieler würden ihn deshalb provozieren.“
In der italienischen Serie A gilt Homosexualität ebenfalls als unerhörtes Tabu. Was nicht heißt, dass sie nicht vorhanden ist. Immer wieder kursieren Gerüchte über die angebliche Homosexualität von Fußballstars. Nehmen die Gerüchte Überhand, handeln die Klubs. Dann schlägt die Stunde ambitionierter Topmodels und Showgirls. Die Stars lassen sich mit den Scarletts ablichten, es werden Hochzeiten arrangiert, bei denen auch Kinder in der Gage enthalten sind. Einige Modelagenturen sollen sich gar auf dieses Marktsegment spezialisiert haben. „Wir wissen, dass einige Stars des italienischen Fußballs schwul sind und gezwungen werden, dies zu verstecken“, sagt Arcigay-Präsident Franco Grillini, „Spieler werden von ihren Klubs sogar gezwungen zu heiraten. Die Spieler haben Angst, dass ihre Karriere ein jähes Ende nehmen könnte.“
Auch Sandro Mazzola, in den 60er und 70er Jahren Nationalspieler von Inter Mailand, weiß um die Existenz homosexueller Spieler: „Sicher habe ich schwule Profis kennen gelernt. Einer ist zudem ein berühmter Trainer geworden. Es war bekannt, dass er schwul war, und es hat keinen gestört.“ Und ausgerechnet der härteste und humorloseste italienische Terrier, Nationalspieler Gennaro Gattuso, pflichtet Mazzola bei: „Es gibt zwei oder drei Schwule auf 5000 Spieler. Aber das liegt nicht daran, dass der Fußball so männlich ist. Ich kenne Schwule, die auf dem Platz einen unglaublichen Einsatz bringen.“
Der brasilianische Ex-Nationalspieler Marcos Vampeta, der einst ein kurzes Intermezzo bei Inter Mailand gab und heute beim brasilianischen Erstligisten Goiás EC spielt, outete sich kürzlich ebenso wie sein Landsmann Túlio Maravilha, mit über 500 Toren einer der besten Stürmer der brasilianischen Liga. Vampeta war oft in den einschlägigen Szenelokalen im Mailänder San-Siro-Viertel unterwegs. Gerade im Viertel um das Meazza-Stadion, wo ein Großteil der Mailänder Spieler residiert, ist die Schwulenszene aktiv. Einige Profis lösen die Gerüchte durch ihr eigenes Zutun aber erst aus: Mark Iuliano, früherer Abwehrspieler von Juventus Turin, ließ für ein Schwulenmagazin die Hüllen fallen. Auch Matteo Sereni, Torhüter des Zweitligisten FBC Treviso, machte es ihm nach. Und Weltmeister Alberto Gilardino vom AC Mailand, von der italienischen Schwulenvereinigung zum Sexsymbol gekürt, freute sich sehr über diese Auszeichnung, verbunden mit der Aussage, dass er sich gerne für Kampagnen gegen die Diskriminierung von Randgruppen einsetzen wolle: „Jeder und jede sollte so sein können, wie er möchte, ohne dafür ausgeschlossen zu werden.“
Auch in anderen Ländern geht man zumindest ansatzweise toleranter mit dem Thema um: In Frankreich übernahm Vikash Dhorasoo, Nationalspieler von Paris Saint-Germain die Schirmherrschaft für den schwulen Fußballklub Paris Foot Gay. In Schweden outete sich bereits vor drei Jahren der Drittligaspieler Peter Mattias Jansson. Und in den Niederlanden gab es mit Ignace van Swieten, John Blankenstein und Jacques D’Ancona gleich drei Schiedsrichter, die öffentlich homosexuell lebten. D’Ancona ist heute als Schiedsrichterbeobachter und -ausbilder im holländischen Fußballverband aktiv. „Ich kenne einige schwule holländische Profis, auch in der Nationalmannschaft“, verriet der im August verstorbene UEFA-Schiedsrichter Blankenstein dem RUND-Magazin in einem seiner letzten Interviews, „die leben mit Frau und Kind zusammen und betrügen die ganze Welt und vor allem sich selbst. Wenn sich der Erste outen und den Beschimpfungen standhalten würde, würde das eine Kettenreaktion auslösen: Einer nach dem anderen würde nachziehen. Dann wäre auch dem Naivsten klar, dass es Schwule im Fußball gibt.“
Im deutschen Frauenfußball gilt es nach wie vor als offenes Geheimnis, dass gleichgeschlechtliche Beziehungen eher die Regel als die Ausnahme sind. Auch ein Großteil der deutschen Nationalspielerinnen lebt mit einer Partnerin zusammen, nur werde dies im Mannschaftskreis als völlige Selbstverständlichkeit behandelt, wie eine Spielerin erzählt. „Jeder weiß, wer da wen zur Weihnachtsfeier des Vereins begleitet, und dass das eben die Freundin ist“, so eine lesbische Bundesligaspielerin zu RUND, „der Punkt, dass man eine Fußballerin als automatisch homosexuell ansieht, hat sich sehr abgeschwächt. Der Frauenfußball hat sich durch die Erfolge der Nationalmannschaft zu einer akzeptierten Sportart entwickelt.“ Die Angst, als erste lesbische Spielerinnen in der Öffentlichkeit zu stehen und auf Jahre hinaus als Vorzeigelesbe zu gelten, ist bei den Spielerinnen dennoch vorhanden. Die Einen befürchten Folgen für die sportliche Karriere, die Anderen, dass Sponsoren die privaten Werbeverträge kündigen könnten. „Der Stress wäre einfach zu groß“, meint eine Spielerin. Stress, den es auch mit dem DFB geben könnte, glaubt Ex-Bundesligaspielerin Tanja Walther, „da gibt es ungeschriebene Gesetze seit Mitte der 90er, die vermutlich immer noch funktionieren: Wer sich outet, verliert den Stammplatz im Nationalteam.“
Die Stimme überschlägt sich, der Mann ist ungehalten: „Bei uns gibt es keine Homosexualität. Und Sie können absolut sicher sein: Niemand vögelt so viel wie unsere Spieler.“ Der Pressesprecher meldete sich telefonisch auf eine RUND-Anfrage bei allen 36 Bundesligisten, ob man sich gegen das homophobe Klima in den Stadien einsetzen wolle. Reagiert, wie auch immer, haben lediglich acht Vereine. Dabei sind RUND, neben dem medienwirksamen Vorzeigeschwulen und Präsidenten des FC St. Pauli, Corny Littmann, noch zwei weitere Funktionäre aus den Führungsetagen deutscher Profiklubs bekannt, die sich nicht zu ihrer Homosexualität äußern wollen. Ein Umstand, den Tatjana Eggeling nicht verstehen kann: „Was soll passieren? Sie könnten sich aus ihrer Machtposition heraus viel leichter outen als ein Profi und so helfen, ein verändertes Denken aufzubauen. Da geht es viel weniger um Existenzen als bei den Spielern.“
Die Diskriminierung von Homosexuellen wird auf lange Sicht ein Bestandteil des Fußballs bleiben, solange Homophobie totgeschwiegen wird, in den Verbänden, in den Klubs und von den Sportlern. Allein Michael Preetz, Ex-Nationalspieler und Leiter der Lizenzspielerabteilung bei Hertha BSC, lässt sich in diesem Kontext zitieren: „Homosexuelle gibt es in allen Gesellschaftsschichten, auch im Sport. Ich bin gegen jegliche Form der Diskriminierung, auch gegen Homophobie.“ Die meisten deutschen Profivereine haben inzwischen den Antirassismusparagrafen in ihre Satzung aufgenommen, den gegen sexuelle Diskriminierung findet man bei den wenigsten. Selbst ausgewiesen soziale und liberal denkende Nationalspieler lehnen jeden Kommentar zur Homophobie ab. Man weiß von nichts und will von nichts wissen. „Dabei wäre es wichtig, dass heterosexuelle Spieler sagen würden, dass Schwule kein Problem für sie sind“, glaubt Tanja Walther, „das belegt doch, dass die Atmosphäre nicht stimmen kann. So wird sich nie etwas ändern.“
(*Name von der Redaktion geändert)
Mitarbeit Vincenzo Delle Donne und Kathrin Steinbichler
Mittwoch, 22. November:
Interview: Der langjährige UEFA-Schiedsrichter John Blankenstein war der einzige Spitzenreferee, der sich während seiner aktiven Laufbahn zu seiner Homosexualität bekannte. Im August verstarb Blankenstein im Alter von 57 Jahren an einem Nierenleiden. In einem seiner letzten Interviews spricht der Niederländer über Anfeindungen in den Stadien und schwule Spieler in der holländischen Nationalmannschaft.
Donnerstag, 23. November:
Interview: Auch in der Frauen-Bundesliga gibt es homosexuelle Spielerinnen. Obwohl dies innerhalb der Vereine kein Problem ist, ist die Angst vor einem Outing dennoch riesig. RUND-Autorin Kathrin Steinbichler sprach mit einer lesbischen Bundesligaspielerin über den Druck der Öffentlichkeit, private Sponsorenverträge und Klischees im Frauenfußball.
Freitag, 24. November:
Reportage: „Einer muss den Anfang machen“ – bereits 2004 widmeten sich die RUND-Redakteure Oliver Lück und Rainer Schäfer dem Thema und sprachen schon damals mit einem homosexuellen Spieler über dessen absurde Lebensumstände und die Angst, entdeckt zu werden. Der erste Teil der Reportage.
Samstag, 25. November:
Reportage (2. Teil): „Einer muss den Anfang machen“ – der zweite Teil der Reportage.
Sonntag, 26. November:
Interview: Wie über Homosexualität und Schwulenfeindlichkeit im italienischen Fußball gedacht wird, zeigt ein Gespräch mit Franco Grillini, Präsident der nationalen Schwulenvereinigung Arcigay. RUND-Korrespondent Vincenzo Delle Donne sprach mit Grillini über Fabio Cannavaro als Schwulenikone und wie es schwulen Spielern gelingt, ihre Homosexualität zu verbergen.
Montag, 27. November:
Interview: Ralf Schmidt ist Mittelfeldspieler und hat die Streetboys mit gegründet, die seit 2001 unter dem Namen „Team München“ als einzige schwule Fußballmannschaft in Deutschland am offiziellen Ligabetrieb teilnehmen. Der 41-jährige Flugbegleiter über Beschimpfungen in der Kreisklasse C und den Gewinn des Weltmeistertitels.
Dienstag, 28. November:
Report: Der französische Nationalspieler Vikash Dhorasoo ist einer der wenigen Fußballprofis, die ihre Bekanntheit für homosexuelle Minderheiten einsetzen. RUND-Autor Rico Rizzitelli beschreibt in seinem Artikel, was der heterosexuelle Dhorasoo als Schirmherr des schwulen Fußballklubs Paris Foot Gay (PFG) bereits erlebt hat. Außerdem ein Interview mit PFG-Gründer Pascal BrÔøΩthes über die neue Aktion „Rote Karte für Homophobie" und ein Gespräch mit dem französischen heterosexuellen Erstligaspieler Mickael Chretien: „Beim Thema Schwule im Fußball gibt es viel Heuchelei in Frankreich."
Mittwoch, 29. November:
Interview: Die Kulturwissenschaftlerin Tatjana Eggeling forscht seit über zwei Jahren zum Thema „Homophobie im Sport“. Im RUND-Interview spricht die Dozentin des Instituts für Kulturanthropologie und europäische Ethnologie in Göttingen über das voyeuristische Interesse vieler Medien, das fehlende Engagement des DFB und die Gefahren eines Coming-Out für einen Fußballprofi.
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