Doku über homosexuelle Fussballer
„Die Hoffnung ist, dass Fans weiter sind als die Verantwortlichen denken“
Manfred Oldenburg ist Regisseur der sehenswerten Doku „Das letzte Tabu“. Er lässt neben Thomas Hitzlsperger diejenigen Profifußballer ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, die sich als homosexuell geoutet haben. Interview Matthias Greulich
RUND: Herr Oldenburg, wie kamen Sie auf die Idee sich mit dem Thema Homosexualität im Profifußball zu beschäftigen?
Manfred Oldenburg: Das Thema war bei uns schon länger im Gespräch. Den ersten Kontakt zu Thomas Hitzlsperger hatten wir schon Ende 2017. Bis es dann aber konkret losging, hat es noch etwas gedauert - im Sommer des vergangenen Jahres haben wir uns erneut mit Thomas getroffen, weil wir gespürt haben, dass es eine Entwicklung mit dem Coming Out von aktiven Spielern gab, beginnend mit Collin Martin 2018. Wir dachten, jetzt wäre der richtige Zeitpunkt, diese Dokumentation zu machen.
RUND: Was war Ihnen für „Das letzte Tabu“ am wichtigsten?
Manfred Oldenburg: Uns war wichtig, die geouteten Spieler selbst zu Wort kommen zu lassen. Sie nehmen uns mit in ihr Leben und man fragt sich, wo eigentlich das Problem für die heterosexuelle Mehrheitsgesellschaft liegt: Wieso geben wir homosexuellen Spielern im 21. Jahrhundert das Gefühl, sich nicht outen zu können? Wir wollen doch aufgeklärt, liberal und tolerant sein. Die Spieler zeigen uns eindrücklich, wie falsch unsere Vorurteile sind. Der Film ist zugleich ein historischer Blick zurück, wir zeigen, welche Entwicklung wir seit dem Coming Out des ersten homosexuellen Profifußballers Justin Fashanu haben, der 1990 an die Öffentlichkeit gegangen ist. Und ich finde, es hat sich eindeutig etwas verändert.
RUND: Eindrucksvoll ist die Szene in Ostrava, als Jakub Jankto im Frühjahr 2023 nach seinem Coming Out erstmals wieder auf dem Platz stand.
Manfred Oldenburg: Das Coming Out von Jakub Jankto ist wirklich eine historische Zäsur. Zum ersten Mal hat sich ein Erstligaspieler in einer der führenden europäischen Ligen geoutet, der zudem aktueller Nationalspieler ist. Den Prozess wollten wir deshalb begleiten und haben sofort Kontakt mit Sparta Prag aufgenommen. Der Verein hat uns allerdings Dreharbeiten nicht gestattet, ebenso der tschechische Ligaverband. Ich vermute, sie hatten die Befürchtung, dass die Fans negativ reagieren würden. Seit Jahrzehnten beleidigen Ostravafans Spartaspieler mit homophoben Gesängen. Wir sind trotzdem mit dem Kamerateam nach Ostrava gefahren, dem Erzrivalen von Sparta Prag. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt auch gar nicht, ob Jakub überhaupt im Aufgebot war. Wir haben aber gesagt, wir müssen fahren, denn falls Jakub im Kader ist und spielt, müssen wir das unbedingt dokumentieren. Wir haben vor dem Anpfiff vor dem Stadion gedreht und dann zum Glück Handyaufnahmen gefunden, die zeigen, was im Stadion passiert ist.
RUND: Was war zu sehen?
Manfred Oldenburg: Jakub Jankto war tatsächlich im Aufgebot und wurde während der Partie eingewechselt. Das war ein besonderer Moment, weil er auf diese Art den gegnerischen Fans einzeln präsentiert wurde. Er kam an die Außenlinie. Der Stadionsprecher sagte seinen Namen. Er lief auf den Platz, Und nichts passierte. Keine Reaktionen bei den Fans. Als wäre es eine ganz normale Einwechslung. Wir sind glücklich, dass wir das im Film zeigen konnten. Die Hoffnung ist, dass Fans weiter sind als die Verantwortlichen denken. Jakub Jankto hatte vor dem Spiel die Befürchtung, dass er homophob beleidigt werden würde. Das ist nicht eingetroffen. Martin Collin, ein US-Profi, hatte vor seinem Coming Out Angst, dass seine Mannschaft ihn nicht akzeptieren würde. Auch das ist nicht eingetroffen. Das Gleiche gilt für Matt Morton, der Spielertrainer in der neunten englischen Liga ist: Mitspieler und Fans haben sich für ihn gefreut, dass er jetzt ein glücklicheres Leben führen kann.
RUND: Im Mai ist ein größeres Outing geplant.
Manfred Oldenburg: Marcus Urban war 2007 der erste deutsche Fußballprofi, der sich zu seiner Homosexualität bekannte. Zurzeit bereitet er ein Gruppen-Coming-out von Spielern, Trainern und Schiedsrichtern vor. Ich kann nur sagen, dass wäre großartig, wenn das gelingt. Ich finde den Ansatz richtig, das Outing auf mehrere Schultern zu verteilen. Man kann sich vorstellen, was das für einen Einzelnen angesichts der großen medialen Aufmerksamkeit bedeuten würde. Einem Spieler, der sich outet, wird von der Öffentlichkeit ziemlich viel abverlangt, daher fände ich es großartig, wenn sich viele zusammenfinden und sich in einer Gruppe outen.
RUND: Tanja Walther-Ahrens gibt dem DFB in einem Interview im Film die Schulnote mangelhaft für sein Engagement gegen Homophobie. Bei anderen Verbänden ist es nicht besser. In Ihrem Film äußert sich kein Verbandsvertreter.
Manfred Oldenburg: Wir haben versucht, Kontakt mit Verbänden aufzunehmen, aber nur Absagen bekommen. Es wird zu wenig getan, vor allem an der Basis. Aus diesem Grund haben wir Thomas Hitzlsperger nach Bilbao begleitet, wo er mit den Jugendtrainern von Athletic gesprochen hat. Es hat mich berührt, wie er den Trainern nahelegte sie mögen den Heranwachsenden weniger als Übungsleiter sondern vielmehr als Mensch das Gefühl geben, dass Homosexualität überhaupt kein Problem ist. Es gehe im Fußball um das Talent, und nicht darum, welche Hautfarbe, Religion oder sexuelle Orientierung ein Spieler hat.
RUND: Was hat das Outing von Thomas Hitzlsperger bewirkt?
Manfred Oldenburg: Thomas ist ein Vorbild für viele. Ich bewundere ihn für sein leidenschaftliches Engagement, mit ihm hat das Thema die notwendige Öffentlichkeit. Und die ist so wichtig. Matt Morton erzählte mir im Interview, wie wichtig Thomas als Vorbild in England unter Jugendlichen sei. Gerade junge Menschen brauchen Vorbilder und Thomas kann als ein starker, in sich ruhender Mensch und seiner klaren Botschaft, dass Homosexualität kein Problem ist, Ängste nehmen.
RUND: Ende 2006 hat RUND 36 Bundesligisten gefragt, ob man sich gegen das homophobere Umfeld in den Stadien einsetzen wolle – lediglich acht Vereine reagierten. Wie wäre es heute?
Wenn man sich mit Homosexualität im Profifußball beschäftigt, kommt man an der Berichterstattung von RUND nicht vorbei. Hier wurde schon früh hervorragende und wichtige Basisarbeit geleistet. Wir haben natürlich auch versucht, mit Vereinen, Spielern und Trainern Kontakt aufzunehmen, um zu hören, wie sie das Thema wahrnehmen. Wir haben auf unsere Anfragen jedoch kein Feedback erhalten, das heißt es ist nach wie vor schwierig. Ich kann nur spekulieren, warum keiner geantwortet hat. Fatal finde ich, dass gar nicht darüber gesprochen wird, das ist die völlig falsche Herangehensweise, denn das wirkt wie ein Totschweigen. So, als würde das Thema überhaupt nicht existieren. Und so wird sich nie etwas ändern. Homosexuelle Spieler werden sich nur dann outen, wenn sie das Gefühl haben, dass sie auf Akzeptanz treffen. Dafür brauchen wir Öffentlichkeit. Wir leben im 21. Jahrhundert, und ich verstehe nicht, warum wir im Fußball so ein großes Problem mit Homosexualität haben.
RUND: Gibt es überhaupt noch gesellschaftliche Bereiche, die ähnlich rückständig sind?
Manfred Oldenburg: In vielen Bereichen der Gesellschaft gibt es positive Entwicklungen,
es gibt offen bekennende schwule Politiker, Soldaten, Fernsehstars und Musiker. Nur im Fußball outet sich fast niemand. Tatsächlich wirkt der Fußball wie eine letzte Bastion.
RUND: Sie zeigen eine Kabine, den Ort, den homosexuelle Profis besonders fürchten. Matt Morton und seine Mitspieler ließen Sie dort drehen. Der homosexuelle Spielertrainer berichtet, dass er seinen Spielern im Spaß sagt, sie seien viel zu hässlich, um für ihn in Frage zu kommen.
Manfred Oldenburg: Matt Morton hat sich lange Gedanken darüber gemacht, wie seine Mitspieler reagieren werden, wenn er sich outet. Wird sich die Kabine ändern? Wird sich einer homophob äußern? Er wurde während des Interviews emotional, als er von seinem Outing berichtete: Seine Mannschaft hat sich für sich ihn gefreut, dass er selbstbestimmt und glücklich leben kann. Und sie waren dankbar, dass er ihnen vertraut hat. Es hat sich für Matt nichts verändert, er war und ist Teil der Mannschaft, der Gemeinschaft. Die gleichen Erfahrungen hat Collin Martin gemacht, der eine besondere Geschichte erzählt hat. Seine Mannschaft San Diego spielt 2020 in der zweiten US- Liga um den Aufstieg in die erste Liga, Das Team muss das letzte, entscheidende Spiel gewinnen, um die Play-offs zu erreichen und führt zur Pause 3:0, das Spiel ist so gut wie entschieden.
RUND: Die berühmte Szene aus dem Jahr 2020 ist im Film zu sehen. Der Schiedsrichter hatte Collin Martin völlig zu Unrecht die Rote Karte gezeigt, nachdem ihn sein Gegenspieler homophob beleidigt hatte. Martins Mitspieler verließen mit ihm gemeinsam den Platz.
Manfred Oldenburg: Die Spieler mussten sich entscheiden. Was ist wichtiger: der Aufstieg oder die Solidarität mit ihrem Mitspieler? Sie entscheiden sich für das zweite. Solidarität zählt zu den höchsten menschlichen Gütern, die wir haben. Wäre San Diego auf dem Platz geblieben und hätte die zweiten 45 Minuten runtergespielt, wäre dieses Spiel heute vergessen. Aber so ist es etwas, das bleibt. Was die zehn Mitspieler, der Trainer und der Verein entschieden haben, ist etwas, das größer ist als ein Fußballspiel.
„Das letzte Tabu“ läuft seit dem 13. Februar auf Amazon Prime
Schwer vorstellbar, aber wahr: Nach aktuellen Schätzungen sind von weltweit 500.000 aktiven männlichen Fußballprofis keine 10 offen homosexuell. Während in anderen Lebensbereichen Homosexualität heute kaum noch eine Rolle spielt, scheint das Thema im Profifußball komplett tabu zu sein. Der abendfüllende Dokumentarfilm „Das letzte Tabu“ lässt neben Thomas Hitzlsperger diejenigen ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, die genau dieses Tabu gebrochen haben. Wie der britische Fußball-Profi Justin Fashanu (*1961 in London; † 1998 in London), der diesen Tabubruch 1990 erstmals begangen und mit seinem Leben bezahlt hat. Seine Geschichte erzählt seine Nichte Amal. Marcus Urban wiederum stand als Jugendlicher vor dem Sprung in die Bundesliga und traf mit der Entscheidung für sein Coming Out auch eine gegen seinen großen Traum. Die Erzählungen des US-Profis Collin Martin und des britischen Spielertrainers Matt Morton dagegen lassen erahnen, dass eine gelebte Normalität gar nicht weit entfernt ist. Ihre Biografien könnten nicht unterschiedlicher sein, ihre persönlichen Erfahrungen und Konflikte zwischen Selbstverleugnung und Befreiung aber klingen alle sehr ähnlich. Sie hinterlassen Fragezeichen und fordern Respekt für den Mut der Fußballprofis ab. Wenn Per Mertesacker, Schiedsrichter Babak Rafati und Rolf Töpperwien zudem vom großen Druck im „Business Fußball“ berichten oder Tatjana Eggeling Einblicke in ihre Gespräche mit ungeouteten Spielern gibt, stellt sich mit dem Film auch zunehmend die Frage, warum das Thema gerade im Fußball so totgeschwiegen wird? Entspricht Homosexualität einfach nicht dem hyper-männlichen Bild des Fußball-Helden? Gibt es eine Angst, dass Sand ins Getriebe der Hochleistungsvermarktungsmaschine Fußball kommen könnte? Oder ist es vielleicht so, dass Spieler und Fans heute schon viel weiter sind als die, die an den Hebeln dieser Maschine sitzen?
„Das letzte Tabu“ geht diesen Fragen auf den Grund und erzählt dabei nicht nur die Geschichte der Fußballer, sondern wirft auch ein Licht auf eine Gesellschaft im Wandel. Eine Gesellschaft, die vielleicht doch nicht immer so tolerant war, wie sie selbst von sich glaubte.
Thomas Hitzlsperger in einer Szene des Films „Das letzte Tabu“
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