THEMENWOCHE
Homosexuelle Profis: „Einer muss den Anfang machen“
Bereits im Oktober 2004 widmeten sich die RUND-Redakteure Oliver Lück und Rainer Schäfer dem Thema „Homosexualität und Homophobie im Profifußball“. Lesen Sie heute den ersten Teil der Reportage
Seinen richtigen Namen zu nennen, wäre zu gefährlich für ihn. Nennen wir ihn deshalb Enver. Aber seine Geschichte ist wahr, er ist einer der großen Stars in der Fußballbundesliga, den Millionen wegen seiner Fähigkeiten am Ball lieben. Den aber Millionen hassen würden, wenn sie wüssten, dass er keine Frauen, sondern Männer liebt. Enver leidet, seit er sein Geld als Fußballprofi in der Bundesliga verdient. Er ist fremd in einer deutschen Großstadt und fühlt sich allein. Er ist homosexuell und traut sich nicht, mit jemandem darüber zu reden. Denn im Fußball, so viel hat er auch mit seinem schlechten Deutsch verstanden, ist schwul ein übles Schimpfwort, eine der schlimmsten Beleidigungen unter Männern. Um dem Verdacht vorzubeugen, hat er seinen Mitspielern erzählt, dass er sich nach mehreren Jahren von seiner Freundin getrennt habe. Jetzt sei erst einmal der Verein seine Geliebte.

Da Fußball und Homosexualität nach wie vor als unvereinbare Gegensätze gelten, darf es offiziell im deutschen Profifußball keine Schwulen geben. Kein deutscher Profi hat sich bislang als homosexuell zu erkennen gegeben, obwohl, statistisch gesehen, mindestens drei schwule Teams in den Bundesligen spielen müssten. Unter der Hand werden einige Namen gehandelt, aber offen möchte keiner damit umgehen. Stattdessen wird weiter Verstecken gespielt und viel Energie darauf verwandt, Fußball als angeblich schwulenfreie Männerzone zu erhalten. „Je bekannter die Profis sind, desto schwieriger wird es, die Fassaden eines solchen Doppellebens aufrechtzuerhalten“, glaubt Tatjana Eggeling. Ein erfülltes Leben ist nicht möglich. „Sport ist einer der konservativsten Bereiche unserer Gesellschaft. Der Arbeitersport wurde jahrzehntelang nur von Männern und deren Sichtweise dominiert“, erklärt Eggeling. Andere Lebensweisen finden da keinen Platz. „Das Fremde löst besonders viel Angst aus, auch weil Sport ganz nah an der Körperlichkeit dran ist. Dem wird besonders aggressiv und intolerant begegnet.“
Zehn bis 15 Prozent der Deutschen sollen lesbisch oder schwul sein. Alle gesellschaftlichen Kreise drängt es verstärkt zum Coming-Out, nicht nur Berlin und Hamburg werden von schwulen Bürgermeistern regiert, auch in der Bundespolitik stehen immer mehr Politiker zur gleichgeschlechtlichen Liebe, zuletzt der FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle. Schwuler Alltag wird inzwischen im privaten und öffentlichen Fernsehen gezeigt, bevor die Kinder zu Bett gehen müssen, und auch bei der Bundeswehr gibt es eine Arbeitsgruppe homosexueller Soldaten. Einzig der beliebteste Zweikampfsport verweigert hartnäckig die Beschäftigung mit dem Thema und lässt keine Liberalisierungstendenze zu. Ein Klima der Angst wird restauriert. Die Spieler schweigen, weil sie fürchten, in einem auf Kraft und Härte verpflichteten Männerkosmos gedemütig zu werden, in dem Homosexualität als Schwäche gilt. „Schwul? gilt in den Stadien als Platzhalter für alles, was den Fans nicht passt.
Eine starke Persönlichkeit wäre vonnöten, um die Konsequenzen eines Outings auszuhalten. „Der erste Profi, der das auf sich nimmt, kommt nicht mehr zum Schlafen, zum Essen und zum Trainieren“, mutmaßt Tatjana Eggeling. Ex-Nationalspieler Jens Todt pflichtet bei: „Der wird sicher ein Jahr lang niedergemacht, zu Hause und auswärts.“ Sicher ein Grund, warum die Clubs fast panisch reagieren, wenn Homosexualität thematisiert werden soll. Und so kommt es, dass selbst ein aufgeschlossener und aufmerksamer Profi wie Todt in 13 Jahren nicht mitbekommen hat, „dass einer schwul ist. Klar kann man sich Gedanken machen, wenn einer nie eine Frau oder Freundin zu Feiern mitbringt. Aber zu den meisten Spielern hat man keinen engen privaten Kontakt.“
So kommt wenig Bewegung in die Geschichte, die Argumente sind bekannt: Viele Spieler denken ähnlich wie der frühere Kölner Abwehrspieler Paul Steiner – „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Fußball spielen können“ -, sind aber schlau genug, solche Ressentiments nicht öffentlich zu äußern. Auf der anderen Seite wirkt ein schwuler Präsident wie Corny Littmann beim FC St. Pauli weniger aufklärerisch als narzistisch, wenn er sexprotzerisch zum Besten gibt, wie viele Spieler er schon vernascht habe.
Gerd Eiserbeck ist einer der Aktiven bei den Hertha Junxx, die seit August 2001 im eigenen und in fremden Stadien um Akzeptanz kämpfen. Nachdem die Mitgliederzahl zunächst sprunghaft angestiegen war, gerät die elanvolle Aufbauarbeit nun mehr und mehr ins Stocken. „Ich hätte schon eine andere Entwicklung erwartet“, räumt der 36-Jährige ein, „ich bin etwas ernüchtert.“ 62 Mitglieder zählt der Fanclub auf dem Papier, gerade mal zwölf sind aktiv dabei. Insbesondere Auswärtsfahrten sind immer seltener geworden: „Da zeigen wir gar keine Flagge mehr, weil wir nicht wissen, wie reagiert wird.“ Gerd kennt zwar als Polizeibeamter keine Angst vor körperlicher Gewalt, „aber es muss nicht sein, dass wir uns in Gefahr bringen“. Dass keine Jüngeren nachrücken, macht ihnen ebenso zu schaffen wie die Tatsache, dass Bürgermeister Klaus Wowereit schon zweimal die Ehrenmitgliedschaft bei den „Hertha Junxx“ abgelehnt hat. Jetzt hat sie die Grünen-Politikern Claudia Roth angenommen – ein Signal, das Auftrieb gibt.
Genauso wie die Kontakte zu anderen schwul-lesbischen Fanclubs in Mainz, Stuttgart, Dortmund, St. Pauli und Dresden. Auch ihre Flagge, die Regenbogenfahne, das Symbol der Homosexuellen, mit dem Hertha-Emblem, soll vergrößert werden. War sie bislang 1,80 auf 1,10 Meter, wird sie künftig 2,50 auf 1,80 Meter messen. Auch als Beweis für sich selber, dass man noch etwas bewegen kann. Aber vor allem als „Signal an schwule Spieler, dass es uns gibt“, sagt Andreas Schluricke, Mitglied des Fanclubs und im Berufsleben Mitarbeiter eines Bundestagsabgeordneten der SPD: „Wir wünschen uns, dass uns mal ein schwuler Spieler anspricht, um Erfahrungen auszutauschen – das muss kein Herthaner sein. Einer muss aber endlich mal den Anfang machen.“
Oliver Lück und Rainer Schäfer
Zurück |