INTERVIEW
„Ich habe überlebt“
Cass Pennant gehörte zu den führenden Köpfen der Hooligan-Gruppierung Inter City Firm von West Ham United. Inzwischen ist der 50-Jährige ein Bestsellerautor und Hauptfigur des Spielfilms Spielfilm „Cass“ Interview Carsten Germann

Cass Pennant
„Ich habe mich verändert“: Cass Pennant schreibt seine Bücher aus der Sicht eines Grenzgängers
Foto Dominik Gigler




RUND: Mister Pennant, wann haben Sie sich zum letzten Mal so richtig in einem Fußballstadion geprügelt?

Cass Pennant: In den 80ern, während meiner Aktivitäten in der Inter City Firm (ICF) von West Ham United. Aber heute bin ich nicht mehr dabei. Es war eine Erfahrung auf höchster Ebene, aber ich habe mich verändert.

RUND: Inwiefern?
Cass Pennant: Ich schreibe heute meine Bücher aus der Sicht eines Grenzgängers. Ich habe eine Ära er- und überlebt. Gewalt gibt es für mich nur noch in meinen Büchern.

RUND: Beschreiben Sie doch ein wenig die ICF. Wie viele Leute gehörten dazu?
Cass Pennant: Zwischen 500 und 800. Bei den Londoner Derbys waren mitunter Tausende zur Gewalt bereite West-Ham-Fans dabei. Die Gruppe selbst war organisiert wie eine Firma. Mit klaren Führungsstrukturen, aber ohne Mitgliederliste. Das Londoner East End war damals sehr überschaubar. Man erkannte einfach, wer dazu gehörte und wer nicht. Eingeschleuste Undercover-Agenten hatten keine Chance.

RUND: Was war Ihre Funktion?
Cass Pennant: Ich bin 1972 zur ICF gekommen und schnell in den inneren Führungskreis vorgestoßen. Bei einem Spiel bei Sheffield United an der Bramall Lane warfen sie 1975 mit Backsteinen nach uns, jagten uns durch die Stadt zum Bahnhof. Ich habe dabei einer Menge Leute aus ernsten Schwierigkeiten geholfen und war von da an mittendrin. Außerdem organisierte ich Fahrten und habe über zehn Jahre lang an vorderster Front gekämpft.

RUND: Wie beeinflussten Hooligans den Fußballalltag in England?
Cass Pennant: Es wurde Woche für Woche um die Vorherrschaft in der Szene gekämpft. Überall. In den Stadien, in Pubs, auf Bahnhöfen, Parkplätzen oder Autobahnraststätten. Wir, die ICF, waren lange die Nummer eins, weil wir physisch die Besten waren. Dabei kam es zu echten Schlachten. Die ICF hat die Leute aus Manchester im Stadion Upton Park zunächst von den Tribünen geprügelt und bis zum Bahnhof Euston gejagt. Auch ein Großaufgebot der Polizei konnte uns nicht aufhalten. Unsere schlimmsten Feinde in der Szene aber waren die Bushwhackers vom FC Millwall. Die haben 1985 in Luton nicht nur den kompletten Gästeblock, sondern auch das Stadion, eine angrenzende Reihenhaussiedlung und etliche Eisenbahnwaggons zertrümmert. Die Schlachten zwischen der ICF und Millwall gelten in der Szene bis heute als legendär.

RUND: Was war der Grund für diese extreme Rivalität?

Cass Pennant: Es ging darum, sich den Ruf der härtesten Firm in London zu sichern. Wir haben Millwall auf der Rückfahrt von einem Auswärtsspiel in Leyton Orient sogar auf den Bahngleisen von Whitechapel, im Osten Londons, aufgelauert. In den späten 70ern haben wir uns im Stadion The Den von Millwall am Rande eines Freundschaftsspiels einen hasserfüllten Kampf geliefert. Ich wurde dabei von der Polizei aufgegriffen.

RUND: Gab es Konsequenzen?
Cass Pennant: Wenig später, ja. Ich wurde 1976 im Anschluss an eine Schlägerei in Tottenham, bei der es zwei Schwerverletzte gab, verhaftet und war der erste Fan in Großbritannien, der wegen Gewalt beim Fußball verurteilt wurde. Insgesamt habe ich drei Jahre im Gefängnis verbracht.

RUND: Die Verurteilung eine Hooligans muss in der Öffentlichkeit mächtig viel Staub aufgewirbelt haben.
Cass Pennant: Wir waren für die Öffentlichkeit wie eine Plage. Abschaum, der die Schlagzeilen schneller machte, als die Zeitungen sie drucken konnten. Der Old Bailey Central Criminal Court in London hat sich normalerweise mit Mördern befasst. Mich haben sie wie einen Verbrecher behandelt, weil sie gedacht haben, Fußball-Hooligans sind sehr gefährliche Leute. Sie dachten, wir wären eine Horde Skinheads oder Rassisten. Kurzum, alle Stereotypen wurden benutzt, aber alle waren falsch.

RUND: Was waren die Besonderheiten der britischen Firm-Szene?
Cass Pennant: Hooligans in Großbritannien sind nicht politisch motiviert. Sie waren und sind eine homogene, in sich geschlossene Gruppe. Politische Organisationen hatten kaum Einfluss. Ihre größte Zeit hatte die Szene in den 80er-Jahren.

RUND: Wie steht es heute um die Szene?
Cass Pennant: Die ICF feierte 2001 in Manchester und 2006 in Palermo ein Wiedersehen. Ohne Gewalt. Davor war sie über ein Jahrzehnt nicht aktiv gewesen. Leute, die sich seit den 90er-Jahren nicht mehr gesehen hatten, machten eine Reise in die Vergangenheit. Für die totgesagte Firm-Szene war das ein massives Symbol, denn die Firms sind heute keine große Sache mehr. Heute gehört viel Geheimhaltung dazu, denn die Gesetze haben sich geändert. Es wird härter durchgegriffen. Außerdem geht heute eher die Mittelschicht zum Fußball. Die Leute sind gebildeter und haben nicht mehr viel mit der Arbeiterklasse zu tun. Es ist eine Subkultur geworden, wie es sie mit den Mods, den Punks oder den Skinheads in Großbritannien zuhauf gibt.

RUND: Klingt wie ein melancholischer Rückblick auf eine vergangene Ära, denn mittlerweile finden sich über 50 Bücher von ehemaligen Hooligans auf dem britischen Markt.
Cass Pennant: Es sind sogar mehr als 120.

RUND: Warum kaufen die Leute diese Bücher?
Cass Pennant: Es geht darin um echte Personen und echtes Leben. Die normalen Leute kaufen die Bücher – nicht die Hooligans! Was wollen die schon über sich selbst lesen? Nichts! Die kennen die Szene. Aber die normalen Leute eben nicht. Sie gehen in den Buchladen und kaufen diese Titel, weil sie sich ein Urteil bilden möchten. Sie können dadurch ein Teil der Vergangenheit werden.

RUND: Haben Sie je bereut, was Sie getan haben?
Cass Pennant: Als ich 1985 die Bilder aus dem Heyselstadion in Brüssel im Fernsehen sah, habe ich Bedauern gefühlt. Bei den Sachen, in die ich verwickelt war, jedoch nie. Du kannst nicht immer mit Bedauern zurückblicken, sondern musst Dich verändern. Es macht mich heute stolz, aus den richtigen Gründen Schlagzeilen zu machen, als Autor und Hooligan-Wissenschaftler.


Der Spielfilm „Cass“ läuft auf dem Festival „11mm im Babylon-Kino, Rosa-Luxemburg-Str. 30
10178 Berlin, am 4. April um 20 Uhr Deutschland-Premiere in Anwesenheit des "echten" Cass Pennant und des Regisseurs Jon S. Baird
Weitere Termine: 5. April um 20.30 Uhr und 6. April um. 22.00 Uhr

Das Interview ist in RUND_#20_03_2007 erschienen.

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