INTERVIEW
„Ich habe Angst um Asamoah“
Wenn es um Fußball geht, ist Christian Ulmen nicht zu stoppen: Als Fan von Hertha BSC feuert er sich im Stadion sogar selber an. Interview Matthias Greulich und Oliver Lück
RUND: Christian, wir möchten mit dir über Fußball reden.
Christian Ulmen: Habt ihr zufällig Geld mit, das ihr mir auslegen könnt? Ich habe gerade nichts dabei.
RUND: Wenn du mit uns über Fußball sprichst, würden wir dich einladen.
Christian Ulmen: Wie nett, obwohl Sport für mich immer blamabel war.
RUND: Und nun bist du Fußballfan.
Christian Ulmen: Seit zweieinhalb Jahren. Da hat mich mein Patenkind mit ins Olympiastadion genommen. Zunächst hielt ich bloß aus Spaß zu Hertha, dann aber sprang der Funke über. Ich kann mir das bis heute nicht erklären. Ich tat so als ob und plötzlich wurde es echt. Seither war ich bei fast jedem Spiel, für die Auswärtsspiele habe ich mir einen Decoder gekauft.
RUND: Mit wem gehst du ins Stadion?
Christian Ulmen: Meistens mit meiner Frau, sie ist Gott sei Dank mit mir Fan geworden. Wir sitzen Obertribüne, erste Reihe, Spielfeldmitte. Da hat man den besten Blick.
RUND: Geht es dort gesittet zu?
Christian Ulmen: Man darf da ja nicht ungesittet abgehen. Wenn der Stadionsprecher ruft „Steht auf, wenn ihr Herthaner seid“, und ich dann aufstehe, kann es passieren, dass jemand hinter mir ruft „Setz’ dich hin, ich seh’ nichts“. Bei Hertha gibt es leider keine ausgelassene Fankultur. Aber dennoch Fan zu sein, obwohl Frank Zander die Stadionhymne singt und Hertha so ein herrengedeckartig anmutendes Image hat, ist das größte Liebesbekenntnis zu diesem Verein.
RUND: Wie reagierst du, wenn dein Hintermann dich zum Hinsetzen auffordert?
Christian Ulmen: Das geschieht meistens mit einer solchen Aggression, dass ich mich sofort hinsetze. Die sind so aggressiv, dass ich denke, dass sie mir gleich auf den Kopp hauen, wenn ich jetzt hier stehen bleibe.
RUND: Und wie geht die Frank-Zander-Hymne?
Christian Ulmen: Sie ist unerträglich. Man könnte sie einsetzen, um Menschen zu quälen. Die geht „Nur nach Hause, nur nach Hause geh’n wir nicht“ zur Melodie von „I am Sailing“ von Rod Stewart.
RUND: Du musst sehr leidensfähig sein.
Christian Ulmen: Zunächst verdrängt man das, man ist ja Fan. Und dann versucht man auch, Frank Zander etwas Positives abzugewinnen. Man denkt, es ist nun mal die Hymne zum Verein. Man redet sich das schön.
RUND: Und dann?
Christian Ulmen: Dann ist man immer noch Fan. Weil man Spieler wie Zecke Neuendorf mag. Ich glaube, dass so eine Liebe zum Verein nicht unbedingt davon geprägt ist, wie er sich nach außen repräsentiert. Das ist so wie mit den Eltern. Die liebt man ja auch, obwohl man sich manchmal für sie schämt – genau wie bei Hertha.
RUND: Könntest du dich von Hertha abnabeln?
Christian Ulmen: Ich kenne niemanden, der seinen Verein gewechselt hat. Man nabelt sich von den Eltern ab, aber man liebt sie und bleibt Fan seiner Eltern. Irgendwann habe ich mich mal gefragt, wen ich da im Stadion eigentlich anfeuere? Die Mannschaft kann es ja nicht sein. Die feuere ich nur für den Moment an, damit sie Tore schießt. Sie ist ja nur eine Masse, die sich ständig erneuert. Der spielt heute hier, nächstes Jahr woanders. Das Anfeuern hätte also keine langfristige Wirkung.
RUND: Der Trainer wird auch häufiger gewechselt.
Christian Ulmen: Und der Vorstand auch. Doch was ist dann der Verein, was mag man denn daran? Ist es das Vereinslogo? Das Trikot? Oder sind es die Fans selbst, die mit ihrem Anfeuern das Bassin bilden für die Spieler und den Verein? Also ist der Fan der Verein.
RUND: Und du feuerst dich selber an.
Christian Ulmen: Zumindest ist man der Verein, wenn man anfeuert. Und lässt dadurch den Verein entstehen.
RUND: Und du magst Neuendorf.
Christian Ulmen: Ich mag an dem, dass er so impulsiv ist. Zecke ist ja richtig Hertha-Fan. Mit dem identifiziert man sich. Mein Patenkind zum Beispiel ist jetzt 14 und identifiziert sich mit Podolski. Der besteht sogar manchmal darauf, dass man ihn Poldi nennt. Er hat Poster von ihm, und Poldi ist auf der Rückseite seines Handys. Podolski ist überall. Er will so sein wie der.
RUND: Nennst du ihn Poldi?
Christian Ulmen: Ich nenne ihn nicht Poldi.
RUND: Aber er will doch, dass man ihn Poldi nennt.
Christian Ulmen: Er schickt manchmal eine SMS und unterschreibt mit Poldi. Ich unterstütze das nicht, nachher steigert er sich da rein und hält sich wirklich für Poldi.
RUND: Antworte ihm doch als Zecke.
Christian Ulmen: Sollte ich mal machen. Richtig auf die Palme würde ihn bringen, wenn ich „Dein Schweini“ schreiben würde. Er hasst Schweini und war auch ganz empört als Schweini und Poldi im ZDF-Sportstudio ihre Freundschaft erklärten.
RUND: Sie sind die große Hoffnung für die WM. Wie wird es in Berlin während der WM zugehen?
Christian Ulmen: Es werden mit Sicherheit alle möglichen Straßen abgesperrt. Aber das kennen wir Berliner, der Kanzler arbeitet hier. Es passiert oft, dass du an der Siegessäule stehst und 50 schwarze Limousinen an dir vorbeifahren, für die extra abgeriegelt wird. So etwas wird sich bei der WM häufen, nur dass in den Limousinen die Kevin Kuranyis sitzen werden.
RUND: Die Stadt wird voller Fans sein, was könnte man mit denen Originelles anstellen?
Christian Ulmen: Ich war mal bei der EM in Holland und fand die Fans alle sehr – sympathisch. Ich war aber enttäuscht, dass die sich nicht unterschieden haben. Ich hätte schon gedacht, dass man sieht, ach ja, der Ungar, der feiert so. Der Brite fällt so um, wenn er besoffen ist. Es war laut. Die hatten alle Bierbüchsen dabei und keine Hemmungen dich anzusprechen. Die waren total schmerzlos.
RUND: Wirst du deine Wohnung während der WM an ausländische Fans vermieten?
Christian Ulmen: Nein.
RUND: Zu überteuerten Preisen?
Christian Ulmen: Darüber könnte man nachdenken.
RUND: In der Fernsehserie „Mein neuer Freund“ hast du extreme Charaktere gespielt, die ihre Mitmenschen durch ihre Eigenarten gequält haben. Welcher Fußballer käme dafür in Frage?
Christian Ulmen: Sicher einige.
RUND: Lothar Matthäus?
Christian Ulmen: Man muss sich überlegen, was Matthäus für Eigenschaften hat, die, wenn man sie penetriert, so nerven, dass du den sofort rausschmeißen möchtest.
RUND: Das Sprechen von sich in der dritten Person?
Christian Ulmen: Oh ja. Ich habe den auch Mal getroffen, bei einer virtuellen Fußball-WM. Wir haben an der x-box gegeneinander gespielt. Matthäus war sehr freundlich. Er hat diesen klassisch jovialen Gestus drauf, fast wie ein Politiker. Das hat – wenn man es penetriert – schon etwas Nerviges. Sich ständig gönnerhaft geben. Und großzügig. Und allen über den Kopf streicheln und so was.
RUND: Und ihr habt gegeneinander gespielt?
Christian Ulmen: Nur kurz. Er hat für die Fotografen gegrinst, schlug mir zweimal auf die Schulter, dann waren die Fotografen weg, und er sagte: „Danke dir.“ Das Spiel war ihm egal. Er hat nur so getan. Ich hätte gern gespielt. Ich hätte es spannend gefunden, zu sehen, ob er auch virtuell so gut ist.
RUND: Was ist mit Günter Netzer, was für ein Gefühl gibt der dir?
Christian Ulmen: Der hat mal meine Mutter angemacht, als ich zwei Jahre alt war. Sie stand an der Ampel, und neben ihr hielt: Netzer! Ich saß auf dem Rücksitz. Netzer hat zu ihr rüber gewunken. Ich habe ihn auch mal getroffen und ihn damit konfrontiert. Er fühlte sich ertappt. Ich spürte aber auch machoesquen Stolz bei ihm. Etwa wie „Natürlich flirte ich mit Frauen, wenn sie mir gefallen.“ Er sagte: „Es kann wohl sein, dass das passiert ist.“
RUND: Wie denkst du heute darüber?
Christian Ulmen: Als mir meine Mutter die Geschichte erzählte, war ich zwölf. Sie hat es spaßig erzählt, aber ich fand das furchtbar und mochte ihn nicht, weil er meine Mutter angemacht hatte, wo sie doch verheiratet ist und einen Sohn und eine Tochter hat. Ich fand es unerhört von Herrn Netzer, meine Mutter auf diese Art anzugucken. Vielleicht hatte er mich auf dem Rücksitz nicht gesehen.
RUND: Es gab noch weitere Begegnungen mit Fußballern. Für eine MTV-Sendung hast du mal bei Hertha mittrainiert. Und du sollst sogar Gilberto ausgetrickst haben.
Christian Ulmen: Ich habe Gilberto regelrecht nass gemacht. Wir standen voreinander, ich hatte den Ball zwischen meinen Beinen. Er musste jederzeit damit rechnen, dass ich den Ball wegtrete. Ich täuschte an, nach rechts zu treten, er sprang nach rechts. Ich trat aber nach links und bin mit dem Ball an ihm vorbei. An Gilberto! Der ist Nationalspieler in Brasilien! Mit einem Übersteiger!
RUND: Gratuliere. Doch auch der Trainingsanzug ließ dich damals nicht sportlich aussehen.
Christian Ulmen: Das war schon immer so. Als Kind habe ich mal beim Tennis gegen einen Jungen verloren, der ein Jahr jünger war, eine künstliche Luftröhre hatte und nicht räumlich sehen konnte. Der war komplett gehandicapt – und gegen den habe ich verloren.
RUND: Wie hoch?
Christian Ulmen: Weiß ich nicht mehr genau. Es gab auch Tiebreaks und so, es waren aber wohl zwei Sätze. Seine Eltern waren überglücklich und hörten gar nicht mehr auf zu jubeln. Und beim Völkerball in der Schule haben sich alle einen Spaß daraus gemacht, Würfe anzutäuschen. Ich zuckte jedes Mal und wurde zu einem tanzenden Heini gemacht. Bis der Ball dann endlich kam und mich hart traf.
RUND: Woran merkst du heute, dass du mehr Sport machen müsstest?
Christian Ulmen: Eigentlich nur, wenn mir das jemand sagt. Ich jogge ab und zu, wenn mir die Filmleute vorschreiben, abzunehmen. Mein Patenkind hat mich mal zum Bolzen mitgenommen, in einen dieser Käfige. Wir haben nur hin und her gekickt. Nach drei Minuten bekam ich keine Luft mehr, mir war schwindelig. Ich musste mich setzen.
RUND: Hattest du schon mal Todesangst?
Christian Ulmen: Natürlich. Ganz oft, wenn ich Herzrhythmusstörungen bei mir feststelle.
RUND: Das kommt häufiger vor?
Christian Ulmen: Seit zwei, drei Jahren nicht mehr. Davor hatte ich oft Phasen, in denen ich nachts mein Herz durch die Matratze hallen hörte. Ich dachte immer, jetzt setzt es aus. Ich hatte Angst, dass ich nicht wieder aufwache. Dann ging ich zum Arzt, der machte ein EKG und fand nichts. Es ist wohl rein psychisch. Ich habe oft Angst, dass ich irgendwo etwas spüre, einen Knoten, Krebs. Dann gebe ich die Symptome bei Google ein, um zu gucken, was es sein könnte.
RUND: Was tippst du ein?
Christian Ulmen: So was wie Herzklopfen, Schweißausbrüche oder Nachtschweiß. Dann werden meist Seiten angezeigt, wo Symptome den Krankheiten zugeordnet werden. Es läuft immer auf Krebs hinaus. Die Angst kann mir dann nur noch ein Arzt nehmen. Ich habe auch Angst um Asamoah, der immer den Defibrillator neben dem Spielfeld stehen hat. Irgendwann gab es doch einen Fall, wo ein Spieler umgefallen war. Das hat sich sogar gehäuft.
RUND: Dann doch lieber wenig Sport.
Christian Ulmen: Genau, und sich ab und zu Herzrhythmusstörungen einbilden. Und sich dann vom Arzt bestätigen lassen, dass alles in Ordnung ist. In Zukunft wird es sicher Computer geben, in die man eine Blut- oder Speichelprobe eingeben kann. Und der vergleicht dann, wie das Blut so drauf ist.
RUND: Würdest du so etwas nutzen?
Christian Ulmen: Sofort. Das ist doch toll, zu Hause zu erfahren, ob man gesund ist.
RUND: Gesundheit ist dir wichtig.
Christian Ulmen: Ja, das würde Reinhold Beckmann auch so sagen: Hauptsache gesund.
RUND: Hört sich dennoch so an, als ob ein Fußballer deine schwierigste Rolle wäre.
Christian Ulmen: Wenn sich Fußballer bewegen ist das kompakt, da schlackert nichts. Du siehst, die haben Muskeln. Der Gang hat was Zackiges, aber gleichzeitig Ruhiges. Es gibt eine körperliche Präsenz. Man spürt, wenn jemand Sport treibt. Das müsste ich mir alles aneignen. Es wäre ein teurer Film, wenn ich einen Fußballer spielen müsste.
RUND: Welche Eigenschaften von Fußballern könntest du gut verkörpern?
Christian Ulmen: Sich am Hodensack kratzen. Ausrasten, anfangen zu schreien, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt. Schwalben, also irgendwie Schmerzen vortäuschen. Du gibst jemandem die Hand und tust so, als hätte der dir die Hand gebrochen. Aber ein Spieler in Aktion ginge wirklich nicht, auch weil mein linker Fuß so ein bisschen schief ist.
RUND: Wie das?
Christian Ulmen: Als Kind ging der ein bisschen nach innen. Dann hat mir der Orthopäde versehentlich eine Schiene gelegt, die den Fuß nicht nach außen drückte, sondern nach innen. Er hat die Schiene falsch rum angelegt. Und dadurch ist es nicht besser, sondern schlechter geworden.
RUND: Ein Kunstfehler.
Christian Ulmen: Ja, Schlamperei, gesetzliche Krankenkasse.
RUND: Leidest du heute darunter?
Christian Ulmen: Es geht, mir fällt es nur auf, wenn man mich darauf hinweist. Ich habe keine Probleme beim Gehen. So könnte ich zwar keinen Fußballer spielen, aber jemanden, der einen krummen Fuß hat.
RUND: Welche Fragen sollen wir noch stellen?
Christian Ulmen: Ob ich viele Fanartikel habe – das habt ihr noch nicht gefragt.
RUND: Hast du viele Fanartikel?
Christian Ulmen: Ich habe vier Trikots und eine Fahne.
RUND: Trikots mit Namen?
Christian Ulmen: Madlung, Bobic, Rafael und eins mit meinem Namen, das ich von Hertha geschenkt bekommen habe. Ich habe auch eine Kaiserslautern-Mütze, weil die die schönsten Mützen machen. Hertha-Käppis sind nicht so schön und passen nicht richtig auf den Kopf, die sind für kleinere Köpfe.
RUND: Der Tragekomfort beim FCK-Käppi ist besser?
Christian Ulmen: Du hast nicht das Gefühl, dass es bei der nächsten Böe weg ist. Fest, aber auch nicht zu fest. Wenn ich laufen gehe, brauche ich etwas auf dem Kopf. Und dann liegt diese Mütze in Griffbereitschaft. Die hat so ein bordeauxrot, und auch der Schriftzug „Kaiserslautern“ sieht gut aus.
Das Interview ist in RUND #2_09_2005 erschienen.
Immer an die Elektrolyte denken – als „Herr Lehmann“ beugte Christian Ulmen alkoholbedingten Kopfschmerzen mit Kartoffelchips vor. Den Antihelden mit Liebeskummer spielte der heute 29-Jährige grandios, für seine zweite Filmrolle wurde er mit dem renommierten Bayerischen Filmpreis ausgezeichnet. Seine Karriere begann als Moderator mit Fernsehsendungen im Offenen Kanal in Hamburg, einige Jahre später bekam er beim Musiksender MTV seine eigene Sendung „Unter Ulmen“, in der er mit Vorliebe ahnungslose Passanten liebevoll terrorisierte. Völlig auf die Spitze trieb er es Anfang des Jahres als „Mein neuer Freund“ bei Pro Sieben: Die Kandidatinnen mussten ihrer Familie einen völlig durchgeknallten neuen Lebenspartner vorstellen. Als der Sender das Format einstellen wollte, sammelten Ulmen-Fans Tausende Unterschriften. Im Herbst ist Ulmen in einer Hauptrolle in der Tragikomödie „Der Fischer und seine Frau“ von Doris Dörrie wieder im Kino zu sehen. Gerade abgedreht ist „Elementarteilchen“ nach dem Buch von Michel Houellebecq. Christian Ulmen spielt darin einen introvertierten Wissenschaftler, seinen sexbesessenen Halbbruder gibt Moritz Bleibtreu.
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