INTERVIEW MIT FRANK GOOSEN
„Klein wenig deftigere Sprache“
Der Komödiant und Autor Frank Goosen über den Geist des Ruhrgebiets und die fraglose Liebe zum VfL Bochum, deren Strahlkraft sogar den eigenen Sohn auf den rechten Weg brachte.


Fan des VfL Bochum: Erfolgsautor Frank Goosen Foto www.philippwente.com



RUND: Herr Goosen, Ihr aktuelles Programm „A40“ trägt den Untertitel „Geschichten von hier.“ Das wird Ihren Ruf als Ruhrgebietskünstler nicht unbedingt erschüttern.
Frank Goosen: Braucht es auch gar nicht mehr. In den ersten beiden Büchern – „Liegen lernen" und „Pokorny lacht" – stand ja gar nicht, wo die Handlung spielt. Trotzdem wurden schon die immer als Ruhrgebietsbücher wahrgenommen. Das spricht dafür, dass meine Bücher damals schon weiter waren als ich selber. Ich wollte früher nicht der Ruhrgebietskumpel sein, von solchen Überlegungen habe ich mich aber mittlerweile frei gemacht, ich bekenne mich jetzt dazu. Ich bin jetzt der Heimatdichter.

RUND: Wären Sie mit dieser Festlegung früher unglücklich gewesen?
Frank Goosen: Ich habe ein paar Jahre naiverweise geglaubt, ich dürfe mich nicht festlegen lassen. Dann habe ich aber gemerkt, dass ich so fest hierhin gehöre, dass es vielleicht sogar ein bisschen meine Mission ist, diese Gegend humoristisch zu durchdringen. Seit ich das gemerkt habe, habe ich mich total frei geschrieben und in Bühnenprogrammen frei gespielt.

RUND: Kann man die mentalen Alleinstellungsmerkmale des Ruhrpotts benennen?
Frank Goosen: Uns geht ja der Ruf voraus, es nicht so mit der Höflichkeit zu haben. Das stimmt vielleicht, macht aber auch frei. Meine Frau stammt aus Franken, in dieser Gegend ist ja nicht die kleinste Portion Selbstironie. Wenn man da mit einer klein wenig deftigeren Sprache kommt, denken die gleich, man will sie überfallen.

RUND: Der Ruhri spricht Klartext. Sonst noch was?
Frank Goosen: Die Region durchzieht ein gewisser Stolz auf das, was früher hier passiert ist. Das, was man im Soziologenslang Strukturwandel nennt, hätte ja auch ganz schön in die Hose gehen können. Dann wäre das Ruhrgebiet jetzt ein einziger Slum. Für das, was da geleistet wurde, kann man auch mal ein bisschen Respekt einfordern.

RUND: Aber gewiss doch. Mittlerweile ist aber das Klischee nicht mehr der graue Himmel über der Ruhr. Sondern, dass angeblich ganz Deutschland an alten, hässlichen Ruhrgebietsklischees festhalte.
Frank Goosen: Wir haben doch auch das Recht, uns zu stilisieren! Ist es nicht viel peinlicher, sich selbst zu Blasmusik mit der Hand auf den Arsch der Lederhose zu hauen, wo man seit 100 Jahren keine Kuh mehr auf die Alm getrieben hat? Und an den Klischees ist ja auch etwas dran. Unsere Generation will ja angeblich mit der Einstellung, das Leben sei Arbeit, nichts mehr zu tun haben. Trotzdem ist hier der „Malocher“ schichtenübergreifend positiv besetzt.

Frank Goosen: „Lameck, Tenhagen, Kaczor waren mythische Spielerfiguren" Foto www.philippwente.com



RUND: Dass Ihr Leib- und Magenverein, der VfL Bochum, den Kultus der ehrlichen Arbeit verkörpert, suggeriert auch der Film „Die Elf des VfL“, eine gelungene Hommage an die alten Recken wie Jupp Kaczor und Michael Lameck. Also an echte Fußballmalocher, die ihrem Verein jahrzehntelang die Treue hielten.
Frank Goosen: Der VfL muss sich seine Mythen erst langsam aufbauen, deswegen sind die beiden Filme von Ben Redelings auch so wichtig. In Dortmund und auf Schalke haben sich Leute in der Kneipe getroffen und haben einen Fußballverein gegründet. Der VfL hingegen ist 1938 aus mehreren Vereinen zusammengewürfelt worden. 1971 begann dann der Ruf als unabsteigbarer Klub. Deswegen bilden Lameck, Tenhagen und Kaczor diesen Grundstock an mythischen Spielerfiguren. Es ist eben auch eine sympathische menschliche Regung zu wollen, dass nicht Geld allein alles bestimmt.

RUND: Bei der Premierenfeier betonte jeder der altgedienten Spieler, die als Ehrengäste kamen, elegisch seine Verbundenheit zum Ruhrgebiet. Viele im studentisch bis alternativ geprägten Publikum waren gerührt. Wie erklären Sie sich, dass diese Verbundenheit zur Scholle, die im linken Milieu ansonsten eher verpönt ist, im Fußball von den gleichen Leuten glorifiziert wird?
Frank Goosen: Das ist natürlich hochgradig widersprüchlich. Wobei Sie hier mit jemandem sprechen, der auch im Privatleben der Scholle verhaftet ist, nie aus Bochum weggekommen ist und findet, dass in der Provinzialität oft die echte Weltläufigkeit liegt. Und die Heimatverbundenheit ist ja selbst für den simpelsten Fan kein Wert an sich. Es gibt in Schalke drei Gelsenkirchener. Einer davon ist Halil Altintop, der kürzlich trotzdem ausgepfiffen wurde, weil die Leistung nicht stimmte.

RUND: Ihr sechsjähriger Sohn hat Sie kürzlich mit der Frage überrascht, wie oft der VfL schon deutscher Meister war. Ihre desillusionierende Antwort – noch nie – hat ihn jedoch offenbar nicht abgeschreckt, mit Ihnen zu den Heimspielen zu gehen. Sie scheinen pädagogisch begabt zu sein.
Frank Goosen: Ganz wichtig ist es, den richtigen Moment für den ersten Stadionbesuch abzupassen. Der erste Stadionbesuch ist ein tiefes emotionales Erlebnis. Du kommst die Treppe hoch und dann öffnet sich der grüne Rasen vor dir. Das muss man machen, wenn ein Kind in der Lage ist, das tief in sich aufzunehmen. Bei meinem Sohn war durch die WM ein Moment erreicht, wo ich nicht mehr zurückkonnte. Zumal die Grundvoraussetzung erfüllt waren: Er ist in der Lage, sich auf das ganze Spiel zu konzentrieren. Und er kann im Stehen pinkeln.

RUND: Trotzdem bleibt ein Restrisiko. Wäre das 0:6 gegen Werder seine Heimspielpremiere gewesen ...
Frank Goosen: ... wäre der ganze schöne Plan den Bach runter gegangen. Es war aber das Bielefeld-Spiel. Das Wetter war super, wir lagen zur Halbzeit 0:1 hinten und gewannen dann noch 2:1. Da steckt dann auch noch die Weisheit drin, dass man immer noch gewinnen kann – eine wichtige Sache, gerade für Kinder. Man muss als Erziehungsberechtigter vorleben, dass Fußball etwas essenziell Wichtiges ist. Ich zweifle nie an meinem Fandasein und an der absoluten Notwendigkeit, ins Ruhrstadion zu gehen.

Interview Christoph Ruf

Zurück  |