Thomas Hitzlsperger

Doku über homosexuelle Fussballer

 „Die Hoffnung ist, dass Fans weiter sind als die Verantwortlichen denken“

Manfred Oldenburg ist Regisseur der sehenswerten Doku „Das letzte Tabu“. Er lässt neben Thomas Hitzlsperger diejenigen Profifußballer ihre ganz persönliche Geschichte erzählen, die sich als homosexuell geoutet haben. Interview Matthias Greulich

weiterlesen

STARGAST
„Er tritt den Jungs auch mal in den Arsch“
Andreas Reinke ist 43, war 1998 mit dem 1. FC Kaiserslautern und 2004 mit dem SV Werder Bremen Deutscher Meister. Er lebt in Bölkow am Inselsee, einem Dorf in Mecklenburg-Vorpommern. Er trainiert die erste Mannschaft des Bölkower SV – Landesliga-Nord. Die Siebte. Und das mit Erfolg. Von Tobias Reetz.

 

Andreas ReinkeTrainer in Bölkow: Andreas Reinke Foto Benne Ochs

 

Ein Samstag im Sommer, der 32. Spieltag der Landesliga. Auf der Anzeigetafel in Mühl Rosin, hier trägt der Bölkower Sportverein seine Heimspiele aus, steht 3:2. Das Ding ist aus Holz, die Zahlen stehen auf weißen Tafeln, die werden auf Schienen rein und raus geschoben. Die Farbe ist dünn geworden. Keine Werbung.

Mehr als 400 Zuschauer haben den Sieg gegen den Güstrower SC gesehen. Güstrow hat knapp 30.000 Einwohner, Bölkow etwa 500 – wenn überhaupt. Erst seit Andreas Reinke bei Bölkow Trainer ist, spielen diese Vereine gegeneinander. Den Güstrowern gefällt das gar nicht.

Das Spiel ist aus, wir stehen auf dem Platz. Reinke trägt eine Winterjacke in den Vereinsfarben: blau-weiß. Das Vereinswappen überm Herzen ist nicht zu übersehen. Die Jacke ist bis oben hin zugezogen. Ein stürmischer Sommertag in Mecklenburg-Vorpommern mit Regenschauern. Reinke hat die Hände in Taschen. Ist überhaupt ziemlich entspannt.

Auch während des Spiels. Die erste Halbzeit läuft schon, als er mit seinem Sohn herum tollt. Der ist etwa Sieben und semmelblond. Das Absperrband ums Spielfeld sieht aus, als stamme es von der Kuhweide nebenan. Auf dem gelben Band steht: „Achtung Energiekabel“. Zu Beginn der zweiten Halbzeit holt sich Andi einen Becher Kaffee und quatscht mit Zuschauern, ehe er in seine Coaching-Zone zurück schlendert. Da steht es 1:1 und bis Reinke seine Bank erreicht, läuft das Spiel schon fünf Minuten. Passiert ist nichts.

Nach Spielende unterhält er sich im Mittelkreis mit einem jungen Mann. Er ist kräftig gebaut, trägt eine kurze Hose, Fußballschuhe und einen schwarzen Pullover mit dem Logo des Güstrower SC. Reinke sagt: „Der heißt auch Reinke“, und grinst. Es ist sein Neffe, der bei Güstrow in der A-Jugend spielt, heute bei den Männern auf der Bank saß. Bölkow hat keine A-Jugendmannschaft. Kann sein, dass Thomas Reinke, wie einige seiner Teamkollegen, zum Bölkower SV geht.

Reinkes Spieler feiern den Sieg gegen Güstrow: Laufen hin und her, ballen Fäuste, rempeln sich an, jubeln mit den Zuschauer, schreien. Vor dem Spiel hatten sie sich mit einem großen Banner, wie man es von Mannschaften aus der Ersten Liga kennt, von ihren Fans verabschiedet. Auf dem Banner stand, in blauer und schwarzer Schrift: „Danke an Fans und Verein für 1A-immotion!“ Die Immobilienfirma „1A-immotion“ sponsert Bölkow.

Hinter der Spielertraube: Rauch. Ein Bengalo. Rot – falsche Farbe, aber schön. Die Feuerwerker bejubeln sich. Anders als in der Bundesliga stört das keinen. Vorm Bierwagen ist Betrieb. Auch nach dem Abpfiff stehen hier die Leute und diskutieren das hart umkämpfte Spiel, in der Region das brisanteste Derby.

Vor dem Spiel sitze ich mit Reinke im vier Quadratmeter kleinen Vereinsbüro. Schreibtisch, Bank, Linoleumboden, auf dem Tisch Spielerpässe. Ein paar Mal werden wir durch Funktionäre aus Bölkow und Güstrow unterbrochen. Die sind ein bisschen nervös vor dem großen Spiel. Reinke ist es Lachs. Er ist die Ruhe selbst und lehnt sich in einen alten, knatschenden Drehstuhl zurück.

Er war 16 Jahre Profi, unter anderem in Spanien und Griechenland, jetzt hat er es mit Amateuren zu tun. Er weiß, dass die sich schon mal fragen: „Machst du das oder machst du das nicht?“ Und vor dem Training überlegen: „Kommst du oder kommst nicht?“ In Bölkow war es für ihn „erst mal schwierig, die Spieler zum Training zu motivieren, aber wenn die dann mal mitmachen, macht das Ganze auch Spaß“.

Am Anfang hat Reinke die Einstellung seiner Jungs „nicht wirklich gut gefallen“, die zu ändern „lag mein Hauptaugenmerk drauf“. Der Tabellenplatz war für ihn zweitrangig. Das Wichtigste war, „aus der Mannschaft eine Mannschaft zu machen. Dass die Jungs zum Training kommen, dass man die kleinen Verpflichtungen als Sportler einhält“.

Reinke macht seinen Jungs klar, dass sie ohne Verpflichtung „halt auch zum Kegeln gehen können, als Einzelsportler. Dann kann man da ein bisschen rumwürfeln und gut is‘“. Es kommt nicht drauf an, „ob du hin gehst oder halt nicht. Du tust damit keinem weh“. Seine Jungs haben irgendwann kapiert, „dass es sich nicht gehört“, wenn ein paar Spieler „zum Training kommen und da im Winter bei Regen in der Kälte stehen und die anderen sitzen zu Hause vor der Glotze“. Für Reinke hat das „was mit Respekt gegenüber den Mitspielern und Verantwortlichen zu tun“. Da sieht er sein Team „auf einem ziemlich guten Weg“.

Beim Abschlusstraining auf dem Sportplatz in Mühl Rosin kickt Reinke im Sturm, wie damals in der Jugend. Die Trainingsbeteiligung ist gut, obwohl einige Spieler einen weiten Anfahrtsweg haben. Abwehrspieler Florian Beer, der bei der Bahn arbeitet, zum Beispiel: „Manchmal ist es durch die Arbeitszeiten und Arbeitsstätten schwer, zum Training zu kommen. Einige von uns, ich auch, arbeiten außerhalb von Mecklenburg- Vorpommern und kommen nur zu den Punktspielen nach Mühl Rosin.“

An einem warmen, sonnigen Mittwochabend sind 14 Spieler gekommen. „Das ist ein gewisser Lernprozess, man muss die Jungs versuchen zu überreden, auch mal den Finger in die Wunde legen, ein wenig Druck ausüben. Man darf  es natürlich nicht übertreiben“, sagt Reinke.

Manchmal, wenn nur zwölf oder 13 Mann zur Verfügung stehen, weil der eine heiratet oder der andere Urlaub hat, stellt sich die Erste Mannschaft des Bölkower SV von selbst auf. „Dann weiß jeder, dass er spielen wird“, sagt Reinke. Das gefällt ihm nicht. Er findet es auch nicht gut, „wenn nur fünf Leute zum Training kommen, dann brauchen wir den Ballschrank nicht aufzuschließen und können wieder nach Hause fahren“. Bei seinen Jungs hat ein Prozess eingesetzt, „bei dem sie sich auch gegenseitig erziehen“.

Bei seinen Trainingseinheiten achtet Reinke auf Ausgewogenheit: „Im niedrigen Amateurbereich, in dem wir uns gerade befinden, musst du jede Woche improvisieren und das Training der Situation entsprechend anpassen. Um ausgefeilte Trainingsabläufe wie damals bei Werder Bremen oder Kaiserslautern machen zu können, brauchst du mindestens einen Kader von 16 bis 20 Spielern, die regelmäßig zum Training kommen“. Ab Oberliga geht das.

Reinke rennt bei Ausdauerläufen vorne weg, er gibt sich auch die Steigerungsläufe. Als seine Jungs danach pumpend in der Kabine verschwinden, ruft Reinke ihnen hinterher: „Was macht ihr denn da drin? Habt ihr da ein Sauerstoffzelt versteckt?“ Wenn Reinke mit den Jungs Ausdauerläufe in Kombination mit Sprints macht, schießen sich die drei Torwarte im Dreieck warm. Danach gibt es Schusstraining und ein kleines Trainingsspiel. Ist der Ex-Bundesliga-Keeper mit seinen Torhüter strenger als mit dem Rest? „Das glaube ich eher weniger“, sagt er, „wenn ich nur mit den Torhütern arbeite, und die speziell trainiere, hat der Rest keinen Coach. Da muss man sich auf jeden Fall noch nach einem Torwarttrainer umschauen.“

Zeugwart Dieter Richter, ein älterer Herr mit Brille und Blaumann, der das Training verfolgt, sagt über Reinke: „Er tritt den Jungs auch mal in den Arsch. Er geht Trainingswege, die andere Trainer hier noch nie gegangen sind. Er ist für die Jungs eine Respektperson, was Andi sagt, wird gemacht.“

Reinke fährt einmal im Jahr mit dem kompletten Team zur Saisonvorbereitung in ein Trainingslager. In seinem Garten wird gefeiert: Champions League-Finale, Spanferkel und Fassbier. Seit 2009 sind Reinke und seine Jungs zwei Mal aufgestiegen und verpassten vergangene Saison knapp die Verbandsliga. Das zeigt: Die Jungs haben Spaß mit Reinke, und er mit ihnen.

 

Andreas ReinkeTorwart mit Temperament: Andreas Reinke nach einem Gegentor von Werder Bremen Foto Pixathlon

Zurück  |