INTERVIEW
„Dann sagt Schweinsteiger zu ihr: ,Schwarz steht Ihnen aber gut'“
Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff über Kabinenbesuche von Angela Merkel und die Generation Kopfhörer. Ein Auszug aus dem Buch „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" Interview Matthias Greulich und Roger Repplinger.
"Lies die Zeit, mach einen Englischkurs" Oliver Bierhoff, Manager der Nationalmannschaft
Foto Daniel Cramer
Herr Bierhoff, würden Sie sagen, dass, was die Integration angeht, die Mannschaft so ist, wie wir die Gesellschaft gerne hätten?
Oliver Bierhoff: Unser Miteinander ist wirklich beeindruckend und durchaus ein Vorbild für den Alltag. Aber das kann sich niemand von uns an die Brust heften, es ist alles so gewachsen. Niemand hat gesagt: Jetzt müssen wir Spieler mit Migrationshintergrund nominieren. Das hat sich so ergeben, durch die Leistung der Spieler. Das ist das Schöne. Und positiv ist auch: Unser Miteinander wird von den Spielern echt gelebt und geschätzt. Das sehen die Menschen. Alle denken immer, eine Fußballmannschaft sei was Besonderes. Eine Fußballmannschaft
und das Team drumherum ist ein Mikrokosmos der Gesellschaft. Wenn ich eine
Abteilung mit 20 Leuten habe, ist das ähnlich. Die Jungs akzeptieren ihre
Unterschiedlichkeit und machen sie nicht zum Problem. Etwas Einzigartiges
ist für mich das Bild, wie der Muslim Özil dem Christen Cacau nach einem
Tor jubelnd um den Hals fällt und beide schauen nach oben – zu Gott.
Und das im Trikot der deutschen Nationalmannschaft. Wow. Die Menschen
spüren, dass die Mannschaft das so lebt, wie sie es gerne bei sich im
Viertel hätten.
Hat das Interesse einer Politikerin wie Bundeskanzlerin Angela Merkel am Team etwas mit dem Integrationsmodell Nationalmannschaft zu tun?
Oliver Bierhoff: Es ist ja nicht so, dass Frau Merkel bei jedem Länderspiel vorbeikommt und auf der Tribüne sitzt. Frau Merkel hat im Lauf der Jahre eine Verbindung zur Mannschaft gefunden. Sie
ist aber weiterhin zurückhaltend und fragt: Passt das? Und: Ich weiß
nicht, soll ich in die Kabine kommen? Ich hab mal zu ihr gesagt: Es wäre
toll für die Mannschaft, wenn Sie etwas sagen würden. Denn ich weiß von
den Spielern, dass sie das gut finden und sich darüber freuen.
Wie geht es in der Kabine zu, wenn die Kanzlerin da ist?
Oliver Bierhoff: Sehr entspannt. Bastian Schweinsteiger hat 2005 oder 2006 mal zu ihr gesagt: Schwarz steht Ihnen aber gut. Mit seinem jungenhaften Charme.
Da lacht sie?
Oliver Bierhoff:
Ja. Sie ist sehr unprätentiös. Wenn sie kommt, stehen alle auf. Es ist meist so, dass sie
kurz mit dem einen und anderen plaudert.
Tim Wiese muss dann für das Team die offizielle Dankesrede halten?
Oliver Bierhoff:
Ja, das war jetzt zweimal so in Südafrika nach dem Argentinien-Spiel und nach dem Sieg gegen die Türkei in Berlin. Lukas Podolski hat zu Tim Wiese einen guten Draht und als es
darum ging, wer was sagt zur Kanzlerin, hat er „Wiese, Wiese“ gerufen. Da
haben alle eingestimmt - in einer Mannschaft entwickelt sich daraus
schnell ein Ritual. So hat Tim jetzt zweimal beim Besuch der Kanzlerin in
der Kabine auf ihre Rede geantwortet und das gut gemacht, so dass er von
den anderen Jungs immer viel Applaus dafür bekommen hat.
Jetzt haben Sie die Generation Kopfhörer in der Nationalmannschaft, schon kommen
die nächsten. Wie sind die zwischen ihren Kopfhörern drauf?
Oliver Bierhoff: Alle sind professionell, sehr reif, sehr erwachsen, freundlich, sympathisch, haben Manieren. Es ist auch erstaunlich, wie sie mit allen, auch medialen Themen umgehen. Sie sind
weniger diese sogenannten Sauhunde, von denen es früher etliche gab. Ich
glaube, die heutige Generation ist individueller und die jungen Spieler
sind es weniger gewohnt, sich in der Gruppe auseinander zu setzen. Sie
setzen sich in die Ecke, mit dem iPhone und checken ihre Mails. Da ist
etwas, wo ich, ohne in die Arbeit der Trainer rein zu funken, einen Input
geben möchte: die Persönlichkeitsentwicklung. Dazu gehört auch, sie zu
ermutigen, Initiativen zu ergreifen. Das ist generell bei Fußballprofis
schwer, bei den Jüngeren noch schwieriger.
Sie sind anders aufgewachsen.
Oliver Bierhoff: Uwe Seeler musste sich Gedanken machen, wo er einen Ball her bekommt, wie er seine Freunde organisiert, wo sie kicken und was sie dann spielen. Ich hab den Ball zu Weihnachten bekommen, bin auf den Bolzplatz und habe mit Freunden überlegt, was wir
spielen. Die Kinder heute werden in eine perfekte Ausrüstung gesteckt, ins
Auto gesetzt, zum Training gefahren, da steht einer, der hat ein Programm
für sie. Also: Woher sollen sie aus sich selbst heraus Fantasie
entwickeln, Initiative ergreifen? Mir bringt es Spaß, wenn ich das bei
ihnen wecke.
Es geht um das Bewusstsein: Wir sind eine Mannschaft?
Oliver Bierhoff: Genau. Es gibt bei vielen Profis die Haltung: Ich mach mein Ding, das mach ich professionell und gut, aber wenn der drüben sein Ding nicht macht, hat das mit mir nichts zu
tun. In unserem Team legen wir Wert drauf, dass wir eine echte Einheit sind
und das ist uns gelungen, besonders bei den Turnieren wird das immer wieder
aufs Neue spürbar. Der Spielerrat hat dabei bei uns auch eine wichtige
Rolle.
Sind Sie, als Spieler mit Abitur, Fernstudium damals ein Exot, nicht in bestimmten Aspekten so etwas wie ein Modell für die Spieler heute?
Oliver Bierhoff: Die Spieler beschäftigen sich heute schon sehr früh mehr mit ihrer Zukunft und machen sich mehr Gedanken als früher. Heute kommen Spieler, die fragen: Was mach ich später mal?
Ich will den Übergang gut schaffen. Wenn man, wie Philipp Lahm oder
Bastian Schweinsteiger ein volles Programm hat, elf Monate durchgehend
spielt, wird man schwer ein Studium schaffen. Aber ich kann sagen: Lies mal
die „Zeit“, oder mach einen Englischkurs. Du hast das Geld, dir einen
privaten Englischlehrer zu nehmen. Es geht nicht nur um den Abschluss,
sondern auch darum, etwas für den Kopf zu tun.
Das komplette Interview mit Joachim Löw lesen Sie in „Die Fußball-Nationalmannschaft. Auf der Spur zum Erfolg" vom Matthias Greulich (Hg.) und Sven Simon. 176 Seiten, 19,90 Euro, Copress Verlag. ISBN 978-3-7679-1048-5
"Schwarz steht Ihnen aber gut": Bastian Schweinsteiger und Angela Merkel Foto Pixathlon
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